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Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)

Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)

Titel: Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Conrad
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Menschen sind nicht meine Feinde, Lilith. Ich hätte gehen können, als Gabriel auf die Erde kam. Ich bin nur Eleanors wegen geblieben… und jetzt sitze ich hier…“
    Der letzte Satz war wie eine Ohrfeige gewesen und Lilith hatte zum ersten Mal seit Jahrtausenden das Gefühl rot anzulaufen. Ihr Blick flackerte, dann sah sie betreten und zornig zugleich zu Boden.
    „Hasst du mich so sehr?“, stieß sie hervor.
    Raphael zögerte einen Augenblick.
    „Ich hasse dich nicht“, sagte er schließlich tonlos. „Aber ebenso wenig liebe ich dich.“
    „Weil du es nicht einmal versuchst“, erwiderte Lilith traurig.
    Eine Weile sagte keiner von beiden ein Wort. Das Rauschen und Summen der Stadt unter ihnen drang leise zu ihnen herauf. Hin und wieder war das Hupen von Autos zu hören, ein fernes Lachen, eine Sirene.
    „Was denkst du?“, fragte Raphael schließlich betreten.
    „Ich war tausende von Jahren auf der Suche nach jemandem wie di r“, flüsterte Lilith. „Und jetzt, wo ich dich gefunden habe, komme ich zu spät. Eleanor hat dich vor mir gefunden. Wäre ich nur wenige Monate vor ihr in deinem Leben aufgetaucht, hätte ich eine Chance gehabt.“
    Raphael ließ bei diesen Worten den Kopf hängen.
    „Und das Bitterste daran ist, dass es mir jetzt ebenso geht, wie diesem Michael“, fuhr sie fort. „Ich habe mit angehört, wie er dasselbe zu Eleanor sagte. Wärst du nicht aufgetaucht, hätte er eine Chance bei ihr gehabt. Dessen war er sich sicher. Es war an jenem Tag, als die beiden aus Bude kamen und ich Eleanor das erste Mal gegenüberstand.“
    „Und?“, warf Raphael ein. Es klang herausfordernd und scharf.
    „Es ist nicht natürlich“, rief Lilith aus. „Ein Mensch und ein Engel! Ihr gehört nicht zueinander. Sie wird dir nie geben können, wonach du dich in deinem tiefsten Innern sehnst. Sie hat das göttliche Feuer nicht. Und ebenso wirst du ihr nie geben können, was sie braucht!“
    „Was soll das sein? Ich kann ihr alles geben!“
    „Kannst du ihr Normalität geben? Auch das ist etwas, wonach es den Menschen verlangt. Ich weiß, wovon ich rede. Immerhin bin ich selbst ein Mensch gewesen. Wir benötigen das Gefühl, dass die Dinge richtig liegen. Engel haben in diesem Weltbild keinen Platz!“
    Raphael stutzte und in die plötzliche Stille hinein fragte er: „Wir? Hältst du dich noch immer für einen Menschen?“
    Lilith zögerte. „Ein Teil von mir wird immer menschlich bleiben“, warf sie schließlich ein. „Niemand kann seine Natur vollkommen verbergen. Sie ist das, was uns am Ende ausmacht.“
    „Und was macht dich aus? Was ist deiner Meinung nach deine wesentlichste Eigenschaft?“
    „Darüber müssen andere entscheiden“, schoss es aus Lilith heraus.
    „Das haben sie ja getan“, entgegnete Raphael ruhig. „In der Welt der Engel genießt du keinen sehr hohen Ruf!“
    „So?“, erklang Liliths Stimme in der Dunkelheit vor ihm. Sie klang unsicher und herausfordernd.
    „Du stehst im Ruf weit unsanfter mit Menschenleben umzugehen, als wir es für gewöhnlich tun. Mancher würde dich als Mörderin bezeichnen.“
    „Mörderin…“, wiederholte Lilith. Diesmal klang Bitterkeit in ihrer Stimme mit. „Ich habe Menschenleben genommen, das ist richtig. Ihr aber nehmt Seelen. Ich frage mich was schwerer wiegt.“
    Ein schwermütiges Lächeln zog sich über Raphaels Gesicht. „Du hast recht“, gab er zu. „Ich habe aber nie verstanden, was dich zu deinen Taten getrieben hat.“
    Es dauerte eine Weile, bis Liliths Stimme wieder erklang. Sie war leise und konnte sich kaum gegen das beständige Rauschen der Stadt durchsetzen. „Wer so hilflos war wie ich es als Mensch gewesen bin, für den ist die absolute Macht die Samael mir gegeben hat oft wie ein Rausch. Es gibt Augenblicke, in denen ich mich kaum unter Kontrolle habe. Vor allem wenn ich zornig oder verletzt bin…“
    „Du hast dich oft so gefühlt, richtig?“ Raphaels Stimme war nun ganz warm und sanft geworden. Er trat einen Schritt auf Lilith zu und sie zog sich nicht zurück.
    „Es ist besser geworden, seitdem ich dich kenne“, erwiderte sie leise.
    Nun war es an Raphael, betreten zur Seite zu blicken.
    Schließlich atmete er tief durch und griff nach Liliths Hand. „Komm“, sagte er, während er seine Flügel ausbreitete und sich in die Luft erhob. Für einen kurzen Augenblick wurde das Dach des Petersdoms in das warme Licht der beiden Engel getaucht, als sie ihre Erscheinungsform änderten. Dann waren sie verschwunden

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