Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)
gestanden hatte und er sich entscheiden musste, ob er sich weiter durch sein Leben kämpfen sollte, oder ob er den anderen Weg ginge. Eleanor dachte an den Moment zurück, als sie selbst vor dieser Entscheidung gestanden hatte. Damals, als sie im Badezimmer stand und plötzlich die schimmernde Rasierklinge in ihrer Hand lag. Als dieses Bild in ihrem Kopf erschien, erkannte sie plötzlich mit eiskalter Präzision, wie richtig und logisch in Siriels Augen seine Entscheidung gewesen sein musste. Selbstmord hatte nichts mit Feigheit vor dem Leben zu tun. Es war die einfache Erkenntnis, dass man selbst das Leben nicht ändern kann und sich die Frage stellen muss, wie man mit diesem Gedanken umgeht. Macht man weiter und erträgt all das, was man glaubt nicht ertragen zu können? Zu welchem Zweck? Mit welchem Ziel? Oder bringt man für einen kurzen Augenblick genug Mut auf, jenen Weg, dessen Richtung man aus eigener Kraft nicht ändern kann, endgültig zu verlassen?
Für Siriel war es ganz einfach gewesen. Nachdem er erkannt zu haben glaubte, dass er nie wieder zu Gott würde zurückkehren können mit jener verkrüppelten Seele, die ihm diese Welt eingebracht hatte, gab es für ihn keinen Grund mehr, hier zu bleiben. Er hatte fest daran geglaubt, dass auf ihn nur das Nichts wartete. In dieser Welt ebenso, wie jenseits des Todes.
„Du dummer Engel!“, schluchzte Eleanor leise wohl ein Dutzend Mal. Du hast einfach nicht alles gewusst. Du wusstest nicht, dass es sehr wohl einen anderen Ausweg aus diesem Gefängnis gab. Du hättest denselben Weg gehen können, den auch Samael und viele andere gegangen sind. Hättest du doch nur ein wenig mehr Vertrauen gehabt. Vertrauen in jene, die es gut mit dir gemeint haben. In Raphael, in mich…
„Milady, könnt ihr gehen?“, drang Williams Stimme in ihre Gedanken. Mühsam ließ sie sich aufhelfen, Allys und Kathryn nahmen sie in ihre Mitte und stützten sie.
Unbeholfen stolperte sie voran. Sie wollte diesen Ort nicht verlassen, doch ein Teil von ihr sah ein, dass sie hier nicht verweilen durften. Und dennoch – sie hatte Siriel nicht gekannt, aber sein Schicksal rührte sie. Ein Gedanke durchzuckte ihren Kopf: Ja, in diesem Augenblick hätte sie ihre Seele verkauft, um seinen Tod rückgängig zu machen und ihm zu helfen.
Eleanor lachte bitter auf. Die Seele verkauft? An wen denn? Der Teufel – das wusste sie nun – war ebenso hilflos wie alle anderen. Auch er saß in einer Hölle fest, die sein Gefängnis ist. Er kann sich nicht einmal selbst helfen. Wie soll er da anderen Erlösung bringen?
Der fünfte Kreis - Zwietracht
„Wie wollen wir vorgehen?“, fragte Lilith an Raphaels Seite. „Die Hölle ist unendlich groß und es dürfte schwer sein, sie hier zu finden.“
„Ich weiß“, grollte Raphael. „Ich hätte sie nie allein lassen dürfen. All das hätte nicht geschehen müssen.“
Lilith schwieg verbittert. Nicht zum ersten Mal verfluchte sie sich dafür, Raphael erpresst zu haben. Aber sie hatte wirklich daran geglaubt, ihn gewinnen zu können. Sie war sich so sicher gewesen, dass er sie mit anderen Augen ansehen würde, wenn er sie nur wirklich kannte. Und dann war alles schiefgelaufen. Jetzt ging es ihr nur noch darum, in seinen Augen nicht als die Hauptverantwortliche für Eleanors Tod da zu stehen.
Sie ließ sich im Flug zurückfallen und überließ ihm die Führung, während die flackernde Welt des neunten Kreises unter ihnen dahinzog. Die brennenden Wolken dräuten über ihren Köpfen und schienen nur wenige Handbreit entfernt, doch anders als die Gefangenen dieser Welt verspürten sie keinerlei Furcht vor diesem Anblick.
Mehr und mehr versank Lilith in düsteren Gedanken und nahm zunächst kaum wahr, dass Raphaels Flugbahn sich geändert hatte. Erst als sie ihn plötzlich vor sich in der Luft absacken sah, wachte sie aus ihrem Schmerz auf. Sie konzentrierte sich auf jenen einen Punkt am Boden, den auch Raphael anvisiert hatte und erkannte dort unten eine Gruppe von mehreren Gestalten, die sich schnell und in ungewöhnlicher Weise über eine finstere Steinebene bewegte.
„Was ist das?“, fragte sie, doch Raphael antwortete nicht. Stattdessen hielt er nun wortlos auf die Gestalten zu und setzte schließlich mit unfassbarer Geschwindigkeit einige Meter vor ihnen auf, um ihnen den Weg abzuschneiden.
Rasiermesserscharfe Steinsplitter und Staub flogen auf, als er aufschlug, doch er nahm es nicht einmal wahr. Lilith setzte sanft neben ihm auf und
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