Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)
selbst standen. Der rechte jedoch wurde ganz schwach von etwas anderem erleuchtet. Mehr eine Ahnung, denn ein deutliches Zeichen, ging von diesem Weg aus. Doch William hatte sofort erkannt, was auch Eleanor bemerkt hatte – wenn man dieses Licht mit irgendetwas beschreiben konnte, dann mit dem Leuchten eines Engels.
„Wenn in jenem Gang ein Engel steht…“, flüsterte er, „… dann müsste er uns längst entdeckt haben!“
Eleanor nickte. „Aber das Licht ist viel zu schwach. Da stimmt was nicht.“
Langsam wandte sie sich zu Ibrahim um.
„Siehst du das Licht?“, fragte sie. „Erkennst du es?“
Ibrahim nickte wortlos. Die Angst stand ihm nun ins Gesicht geschrieben.
„Du hast die Wahl“, sagte Eleanor ruhig. „Du kannst jetzt rufen und den Engel auf uns hetzen. Oder du glaubst mir. Dann solltest du dich jetzt besser ganz leise verhalten.“
„Hast du denn keine Angst hier auf einen der gefallenen Engel zu treffen?“, krächzte er verängstigt.
„Warum sollte ich?“, erwiderte Eleanor. „Ich hatte schon mit ihnen zu tun. Und ich lebe immer noch.“
Eine Weile war Ibrahim innerlich hin- und hergerissen. Und dann geschah es – er ergriff die Flucht. Unsanft schob er sich an den Menschen hinter ihm vorbei und rannte in den Gang zurück, aus dem sie gekommen waren. Seine Begleiter sahen ihm verdutzt hinterher. Dann liefen auch sie ihm nach.
„Wer hätte das gedacht?“, grinste William, während er ihnen nachblickte. „Ihr habt gut geblufft, Milady.“
Doch Eleanor hatte Ibrahim kaum nachgeblickt. Stattdessen sah bereits wieder auf das sanfte pulsierende Schimmern in jenem Tunnel vor ihnen. Einer plötzlichen Eingebung folgend gab sie sich einen Ruck und ging auf den rechten Gang zu. William versuchte sie am Arm zu erwischen, doch er verfehlte sie und griff ins Leere. In dem folgenden Durcheinander, als die restliche Gruppe hinter Eleanor einher stolperte, konnte er sie nicht mehr aufhalten.
Sie waren jedoch erst wenige Meter in den neuen Gang vorgedrungen, als Eleanor ruckartig stehenblieb. Ihre Begleiter versuchten , in dem engen Schacht etwas zu erkennen, doch allein William, Robert und Toby standen nahe genug bei ihr, um ihre Entdeckung sehen zu können. Dort, im Dunkel dieses unheimlichen Bergwerksstollens, lag eine Gestalt auf dem Boden und diese Gestalt strahlte schwach aber doch deutlich das Licht eines Engels aus. Jenes Licht, das man das Göttliche Feuer nannte.
Für einen Augenblick blieb Eleanor unschlüssig stehen, dann kniete sie sich an die Seite dieses Wesens. Kein Zweifel, es handelte sich um einen Engel, doch nie zuvor hatte Eleanor einen von ihnen in so geschwächtem Zustand gesehen. Wie von selbst legte sie ihre Hand unter seinen Kopf und hob ihn sanft in ihren Schoß. Ein leises Röcheln entfuhr dem Engel, doch er hatte nicht mehr die Kraft sich zu bewegen.
Unendlich mühsam öffnete er die Augen und blickte Eleanor an. Und dieser lief es eiskalt den Rücken hinab, denn dies war der Blick eines sterbenden Geschöpfes, eines Wesens, dem nichts und niemand mehr helfen konnte.
„Wer bist du?“, hauchte der Engel.
„Ein Mensch“, erwiderte Eleanor.
„Was… was tust du hier? Du bist keine Sünderin.“
Eleanor schüttelte den Kopf. „Nein. Ich bin auf der Suche nach einem Engel. Sein Name ist Raphael.“
Ein plötzliches Husten schüttelte den Körper in ihrem Schoß.
„Eleanor“, keuchte der Engel. „Du musst Eleanor sein.“
„Ja“, lächelte sie unter Tränen. „Kannst du mir helfen?“
Wieder wollte der Husten des Engels kein Ende nehmen.
„Nein“, flüsterte er schließlich. „Vor einiger Zeit hat der, den du suchst, mich besucht. Drüben in der Welt der Lebenden. In jenem Schacht, in dem mein Leib liegt. Er sagte, dass du viele von uns befreit hättest. Aber mir wird es nicht mehr helfen…“
„Warum nicht?“ Ohne es zu wollen, hatte Eleanor zu weinen begonnen.
Eine Weile war es ganz still im Gang. Eleanor hatte sogar vergessen, dass mehr als zwanzig Menschen hinter ihr standen und erwartungsvoll lauschten. Dann begann der Engel wieder zu sprechen und seine Stimme war schwächer als zuvor.
„Mein Name ist Siriel. Ich habe schon vor tausenden von Jahren die Hoffnung auf eine Wiederkehr in die Himmel Gottes aufgegeben. Da ich keinen Ausweg mehr sah, beschloss ich, auf meine Weise aus diesem Universum auszubrechen.“
„Indem du dir das Leben nimmst?“
Siriel nickte mit einem schwachen Lächeln. „Wenn unsereins lange genug vom
Weitere Kostenlose Bücher