Die Zehnte Gabe: Roman
Frau des Mannes.
Rob fuhr sich über das Kinn. In der Eile hatte er sein Rasierzeug vergessen. Er konnte die Stoppeln fühlen, die sich in der einen Woche, die er unterwegs gewesen war, über seinem Mund und auf den Wangen gebildet hatten. In kürzester Zeit würde er einen Vollbart haben. Der Gedanke stieß ihn ab. Er erinnerte sich, wie Cat über George Parsons gelacht hatte, weil dessen Bart in hellen rotblonden Büscheln spross, obwohl sein lichtes Haupthaar bereits ergraute, und so beschloss er, einen Barbier aufzusuchen.
Zwei Stunden später, nachdem man ihm das Gesicht mit einem nicht besonders scharfen Rasiermesser gründlich aufgeraut hatte, stand er schließlich auf der Strand, einer ruhigen, breiten Straße, die auf beiden Seiten von großen Herrenhäusern aus Stein und Arkaden mit eleganten Läden gesäumt war.
Das Haus, das Rob suchte, war das größte von allen - mehr Palast als Wohnhaus. Es hielt die Welt auf Distanz, indem es sich hinter mehreren Ziergärten verschanzte, in denen Bedienstete arbeiteten und die Wege kehrten. Einer davon scheuchte Rob und seine Tiere ärgerlich davon, als dieser durch das Tor treten wollte. »Du kannst hier nicht durch, der Herr empfängt keine Bettler.«
Rob zeigte ihm den Brief von Sir Arthur, und der kurzsichtige Mann beäugte ihn mit zusammengekniffenen Augen. »Sagt mir gar nichts«, meinte er schließlich argwöhnisch. Dann rief er einen Jungen herbei, der mit einem Rechen zugange war. »Geh und hol Mr. Burton, aber beeil dich.«
Rob wartete und trat ungeduldig von einem Bein aufs andere. Nach einer Weile, die ihm wie eine Ewigkeit vorkam, sah er einen weißhaarigen Mann mit einer aufwändig gearbeiteten blauen Uniformjacke und Samthosen, der unsicher auf ihn zugetrippelt kam. Bei jedem Schritt klapperte sein Stock auf den Steinen. »Wer bist du, und was hast du im Salisbury House verloren?«
Rob reichte ihm den Brief. Der Mann brach ohne große Umschweife das Siegel auf und überflog den Inhalt. Als er wieder aufblickte, hatte sich sein Ausdruck deutlich verändert. Er gab Rob den Brief zurück. »Komm mit«, sagte er knapp und trippelte doppelt so rasch, wie er gekommen war, wieder zurück, wobei der Stock einen rhythmischen Kontrapunkt zum Klappern seiner Absätze bildete.
Rob wurde durch eine Tür riesigen Ausmaßes ins Haus geführt und angewiesen, in einem Vorzimmer Platz zu nehmen, das größer war als die gesamte Halle von Kenegie. Die holzvertäfelten Wände waren mit Porträts von grimmigen Männern geschmückt, die gnadenlos und finster auf ihn herabblickten. Hätte er nicht diesen dringenden Auftrag gehabt, hätten ihre starren schwarzen Augen und abweisenden Gesichter ihn dermaßen eingeschüchtert, dass er sich entschuldigt hätte und wieder
gegangen wäre. Vermutlich war das der Grund, weshalb man die Leute hier warten ließ: So führte das stolze Erbe dieser mächtigen Familie ihnen die Bedeutungslosigkeit ihrer eigenen bescheidenen Herkunft umso klarer vor Augen. Rings um ihn herum starrten die größten Männer des Königreichs - darunter Burghleys und Howards - majestätisch herab, ohne das mindeste Interesse für den Maler, der ihr Bild auf die Leinwand gebannt hatte oder diejenigen, die es später betrachten würden. Rob blieb unter einem gewaltigen Porträt des verstorbenen Vaters des jetzigen Earls stehen, eines trotz seines Titels als Großkanzler schlicht und puritanisch gekleideten Mannes, und betrachtete die Linien seines kalten, gleichgültigen Gesichts mit dem fuchsroten Bart und dem müden Blick. Egal, wie reich und mächtig er war, schoss es Rob durch den Kopf, er wirkte nicht wie ein Mann, der mit seinem Los zufrieden war. Der Porträtist hatte sich entschieden, den Buckel, den er angeblich gehabt hatte, vor dem Betrachter zu verbergen; dafür hatte er den angestrengten Blick seiner scharfen Augen eingefangen. Augen eines Meisterspions, eines Mannes, der zu viel gesehen hatte, einschließlich seines eigenen Schicksals, das ihn wenige Jahre später einholen sollte, als er unvermutet rasch in Ungnade fiel und seinen Reichtum, seine Macht und letztendlich auch das Leben verlor. Rob straffte die Schultern, als er Schritte in der Halle hörte und wandte sich um, damit er den gegenwärtigen Träger des Titels, den zweiten Earl of Salisbury, William Cecil, grüßen konnte.
Doch es war eine Frau, die im Rahmen der Eichentür erschien, ein schönes, zerbrechliches Wesen mit blassem Gesicht, das durch ein Übermaß an teurem Puder noch
Weitere Kostenlose Bücher