Die Zehnte Gabe: Roman
etwas Schiffszwieback und Trockenfleisch und tranken Wasser aus einem Fluss. Dann setzten sie ihren Marsch schweigend fort. Damit blieb Rob jede Menge Zeit zum Grübeln, und er merkte, dass seine Gedanken immer wieder zu seiner letzten Unterredung mit Sir John zurückkehrten, die einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen hatte.
»Zwei, und damit basta! Wenn du mehr mitbringst, werde ich sie höchstpersönlich als Sklaven weiterverkaufen!«, hatte Killigrew ihm wütend erklärt, als er wieder einmal gedrängt hatte, dass sie versuchen sollten, so viele Gefangene nach Hause zu holen, wie das Schiff bergen konnte. Rob hatte schließlich so höflich wie möglich nachgegeben. Doch was würden die
Leute sagen, wenn er nur mit Cat und einer einzigen weiteren Person zurückkehrte, obwohl so viele verschleppt worden waren? Er wusste aus der Lösegeldforderung, dass Catherines Mutter Jane überlebt hatte, und sein Pflichtgefühl sagte ihm, dass sie diejenige sein müsste, die er außer seiner geliebten Cat mitnehmen würde, nur je länger er darüber nachdachte, umso schwerer lag es ihm im Magen. Rob hatte diese Frau nie besonders gemocht. Die Jungs zuhause würden ihn verspotten, weil er töricht genug gewesen war, eine zänkische Schwiegermutter freizukaufen, die ihm von morgens bis abends das Leben schwermachen würde. Doch was, wenn Cat sich weigerte, ohne sie mitzukommen? Er hatte eigentlich nicht den Eindruck gehabt, dass sie sich übermäßig nahestanden, aber hieß es nicht, Blut sei dicker als Wasser? Viel lieber würde er an ihrer Stelle Matty retten, wenn er es recht bedachte - die gute, treue, anständige Matty. Sie war noch jung, Jane Tregenna hingegen alt und vertrocknet, also war es doch gewiss logischer, Matty zu befreien, damit sie noch ein langes Leben in einem guten christlichen Land haben und all die Kinder zur Welt bringen könnte, die Gott für sie vorgesehen hatte. Im Geiste stellte er sich Jane Tregennas verkniffenes, unzufriedenes Gesicht vor und verglich es mit Mattys rosigen Grübchen. In diesem Augenblick stand seine Entscheidung fest. Er konnte nicht verhindern, dass seine Fantasie mit ihm durchbrannte: Ganz bestimmt würde Cat ihn von Herzen gern heiraten, wenn all das vorbei war, dankbar für die ungeheuren Strapazen, die er ihretwegen auf sich genommen hatte, genau wie einer jener Ritter in den Geschichten, die sie so gern las. Trotzdem nagte das schlechte Gewissen an ihm. Es war ganz sicher falsch, als Lohn Cats Liebe zu erwarten. Eine solche Reise, eine solche Aufgabe nur um einer derartigen Belohnung willen zu unternehmen, war höchst unehrenhaft, denn allein die erfolgreiche Rettung aus der Hand der Heiden müsste Belohnung genug sein. Erneut packten ihn die heldenhaften Erzählungen aus der Vergangenheit
: Könnte er sich nicht als Kreuzritter verstehen, der im Namen der Christenheit gegen die Ungläubigen zu Felde zog? Ja, das war ein schöneres Bild, dem man anhängen konnte. Wer als gottesfürchtiger Mann auf dem wahren Pfad des Herrn wandelte, wurde mit dem Himmel belohnt. Trotzdem würde ich meine Belohnung lieber schon auf der Erde haben, in meinen Armen.
Ein Vogel löste sich geräuschvoll aus dem Blätterdach und krächzte eine Warnung, wobei er seinen langen Schwanz hinter sich herzog wie einen Wimpel.
Eine Elster: ein schlechtes Omen, hier genauso wie anderswo.
Marshall wandte sich um, packte Rob an der Schulter und zerrte ihn in den Schutz eines umgestürzten Baums. Stimmen. Durch die dünnen Stängel einer Gruppe übel riechender Pilze, die aus dem verrotteten Holz sprossen, sah Rob keine zehn Meter entfernt schemenhafte Gestalten, die sich durch den Wald bewegten. In ihren gestreiften Umhängen waren sie in dem Wechselspiel von Licht und Waldschatten kaum zu erkennen, doch die Tiere, die sie bei sich führten, besaßen keine solche Tarnung. Maultiere, die mit frischgeschlagenem Holz beladene Karren zogen.
Es war Robs erster Blick auf die Einheimischen in diesem Land. Der erste Eindruck war nicht der von Teufeln oder auch nur Banditen. Als sie näher kamen, erkannte er an ihren Gesten und dem lauten Gelächter, dass sie sich derbe Witze erzählten wie alle Arbeiter. Ihre Haut war ein paar Grade dunkler als seine eigene, aber nicht viel dunkler als die der Fischer, mit denen er unten in Market-Jew zu Abend gegessen hatte, und diese Männer erschienen ihm außerdem leichter gebaut. Er empfand so etwas wie eine vage Enttäuschung. Ehrlich gesagt, hatte er brutale, schwarze
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