Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Zehnte Gabe: Roman

Titel: Die Zehnte Gabe: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Johnson , Pociao
Vom Netzwerk:
Hälsen und knotigen Knien. Neben den Zelten saßen Frauen und hüteten die Kinder, webten bunte Stoffe oder zerstießen das Getreide zwischen den Steinen. Eine von ihnen entdeckte die beiden Reisenden und kam mit klirrenden Arm- und Fußreifen aus Silber auf sie zugelaufen. Sie entsprach Robs Vorstellung von Exotik, die er an diesem abgelegenen Ort erwartet hatte, denn sie trug unzählige bunte Tücher um Kopf und Körper, die mit großen silbernen Broschen und Nadeln festgesteckt waren. Ihre Augen waren mit einem schwarzen Puder geschminkt, der ihr einen betörenden Blick verlieh; an Kinn und Stirn trug sie Tätowierungen, Hände und Füße waren mit braunen Mustern geschmückt.
    Eine dieser Hände streckte sie ihnen jetzt flehend entgegen
und sagte etwas in einer fremden Sprache. Zu Robs Überraschung vertrieb Marshall sie nicht mit bösen Worten, sondern kramte in seinem Geldbeutel und drückte ihr eine der Münzen, die er den toten Männern abgenommen hatte, in die Hand. Noch erstaunlicher aber war, dass er einige Worte in einer hart klingenden Sprache an die Frau richtete und sie darauf antwortete.
    »Komm«, sagte Marshall und stieg von seinem Maultier ab. »Heute werden wir gut essen und schlafen, und morgen sind wir in Salé.«
    »Wer sind diese Leute?«, fragte Rob nervös. »Woher wisst Ihr, dass sie uns nicht mitten in der Nacht die Kehle durchschneiden und den Krähen zum Fraß überlassen? Und was sind das für grässliche Tiere, die sie da angepflockt haben?«
    Marshall klopfte ihm auf den Rücken. »Sie sind Reisende, genau wie wir: Nomaden aus der Wüste im Süden. Sie folgen mit ihren Kamelen und ihrem Vieh den uralten Karawanenrouten, um ihre Waren und allerlei wertlosen Plunder zu verkaufen, den sie unterwegs aufgabeln. Hast du gesehen, wie viel Silber diese Frau trug? Mach dir keine Sorgen, diese Leute sind der Inbegriff der Gastfreundschaft. Genieß es - sie sind die letzten anständigen Menschen, denen du für eine Weile begegnen wirst.«
    Rob beobachtete, wie die Sonne in einem goldenen Lichtmeer versank und einen violetten Streifen hinterließ, der bis weit in den dunkelnden Himmel reichte. Gleichzeitig leuchteten die Wolken im Süden bernsteingelb und rot auf, wie von einer inneren Glut erwärmt, die zu Asche zerfiel, als die Nacht hereinbrach und die Sterne erstrahlten. Er hatte sich den Magen mit einem wohl schmeckenden Eintopf vollgeschlagen, Ziegenfleisch, vermutete er, aber so gut wie jedes Lammfleisch, das er je im Leben gegessen hatte. Dazu hatte es weiche schwarze Früchte gegeben, die erst scheußlich ungewohnt waren und dann mit jedem Bissen köstlicher wurden, und flachen Broten, auf Steinen
gebacken, die vom Feuer erhitzt wurden. Als er hörte, wie die Nomaden sangen und lachten, empfand er zum ersten Mal seit dem Aufbruch in London so etwas wie Ruhe und Zuversicht. Wie es schien, waren nicht alle Fremden Teufel; das Leben konnte schön sein, und solange Cat und er am Leben waren, gab es Hoffnung, dass alles gut wurde.
     
    Am nächsten Morgen begleiteten vier Nomaden sie zu Pferd nach Salé. Sie hatten den Ziegenböcken die Beine gefesselt und sie wie Säcke quer über den Sattel gelegt. Die anderen würden gemächlicher mit dem Rest des Viehs und ihren Waren folgen. Rob hatte den Verdacht, dass Marshall ihnen dafür etwas Geld zugesteckt hatte - eine Gruppe von Nomaden, die in die Stadt geritten kam, würde erheblich weniger Aufmerksamkeit erwecken als zwei einsame Reisende, von denen einer ungewöhnlich groß war und leuchtend blaue Augen hatte.
    Innerhalb einer Stunde nahm das Treiben auf der Straße erheblich zu. Bauersfrauen zogen mit riesigen Körben voller Kräuter auf dem Rücken, die sie mit Lederschlaufen um die Stirn befestigt hatten, Richtung Stadt. Bauern schoben mit Gemüse beladene Karren, Mädchen in schwarzen Gewändern balancierten unsicher auf Eseln, nicht rittlings wie ein Mann, und auch nicht im Damensitz wie englische Frauen, sondern auf einer einfachen Decke, sodass beide Füße gegen die Flanken des Tiers schlugen. Hin und wieder stürmten ihnen bewaffnete Reiter entgegen und riefen den anderen zu, aus dem Weg zu gehen, was sie auch taten, und zwar mit einem solchen Eifer, dass ein Karren im Graben landete und Rüben und Kartoffeln in alle Himmelsrichtungen rollten. Wenn in England so etwas passierte, machten die Umstehenden sich über den Pechvogel lustig und gingen lachend weiter; hier aber bückten sich Männer, Frauen und Kinder gleichermaßen nach

Weitere Kostenlose Bücher