Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Zehnte Gabe: Roman

Titel: Die Zehnte Gabe: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Johnson , Pociao
Vom Netzwerk:
dem verstreuten Gemüse und gaben es lächelnd und grüßend seinem Besitzer zurück.

    Je näher sie der Stadt kamen, umso mehr veränderte sich erneut die Landschaft. Aus der verbrannten Einöde - die Marshall als bled bezeichnete und die so aussah, als wäre alles Leben aus ihr gewichen - wurde fruchtbares, grünes Land mit Bäumen und schmalen Feldern. Neben der Straße saßen Frauen zwischen Pyramiden von Früchten, die Rob noch nie gesehen hatte.
    »Granatäpfel, mein Junge«, erklärte Marshall ihm. »Die Frucht des Lebens und Persephones Ruin!« Rob konnte mit beiden Bemerkungen nichts anfangen.
    Ein Nomade löste sich aus der Gruppe und kam einen Augenblick später mit einem solchen Granatapfel zurück. Marshall warf ihn Rob zu. »Da, versuch mal. Das wird dich eine Weile beschäftigen.«
    Als er die Frucht mit einem Messer zerteilte und hineinbiss, füllte sich sein Mund mit schrecklich bitterem Fruchtfleisch, worauf sich die Nomaden vor Lachen kaum halten konnten, doch dann entdeckte er die Samen, die kleinen Rubinen gleich in der Sonne funkelten. Rob pickte eine Hand voll davon heraus und steckte sie in den Mund. Die Süße auf seiner Zunge war so unerwartet und sinnlich, dass er fast von seinem Maultier gefallen wäre. Ob diese Früchte auch in Cornwall wachsen würden? Falls ja, so schwor er sich, würde er sein ganzes Leben lang keinen Apfel mehr essen.
    Endlich tauchten die ockergelben Festungsmauern der Stadt vor ihnen auf. Die Straße führte sie auf ein gewaltiges, bogenförmiges Tor zu, das von Männern in staubigen blauen Gewändern bewacht wurde. Sie hatten ihre Pluderhosen in die Stiefel gesteckt, und ihre Turbane waren so weiß, dass sie das Auge blendeten. »Mach es wie ich und halt den Kopf gesenkt«, mahnte Marshall noch einmal. »Aber vor allem halt den Mund, selbst wenn du angesprochen wirst.« Dann schlang er seinen Turban so ums Gesicht, dass die Augen in tiefen Schatten lagen und man nur ihr Funkeln sah. Rob folgte seinem Beispiel.

    Er sah nur ein einziges Mal auf, als sie auf das Tor zuritten, um einen flüchtigen Blick auf eine Reihe von gewaltigen Bronzekanonen zu werfen, die auf der zinnenbewehrten Mauer über ihnen standen und aufs Meer gerichtet waren. Teure Kanonen europäischer Bauart. Das war es also: das Piratennest, die Stadt, in die Catherine über das weite Meer hinweg verschleppt worden war. Er kauerte sich zusammen, um seine breiten Schultern zu verbergen und starrte stur auf die struppige Mähne des Maultiers, während der Schatten des Tors über ihn fiel. Die Nomaden schwatzten eine Weile mit den Wachen und winkten sie dann plötzlich durch das Tor in das große brodelnde Durcheinander eines Platzes, wo sich alle möglichen unappetitlichen Gerüche gegenseitig zu überbieten schienen und unzählige Menschen auf die Souks zudrängten.
    Hier verabschiedeten sie sich von ihrer Nomaden-Eskorte. Rob sah ihnen nach und hätte sie beinahe beneidet, als sie weiterzogen, um ihre Ziegen und Waren an den Mann zu bringen.
    Sie ließen ihre Maultiere zwischen Hunderten von anderen stehen, die an Pfosten unweit der Tränken angezurrt waren, und tauchten in die Menge in den verschlungenen, mit Schilf gedeckten Gassen des Souks ein, wo die Sonne hübsche, komplexe Spinnennetze von Licht und Schatten auf den Boden warf. Unzählige Füße trampelten achtlos darüber hinweg. »Die kissaria «, erklärte Marshall. »Ein überdachter Markt. Ich kenne jemanden am anderen Ende. Bleib dicht bei mir: Wenn du hier abgedrängt und von mir getrennt wirst, verirrst du dich in Sekundenschnelle.«
    Rob rempelte die Menschen an oder schob sie gar beiseite, so bemüht war er, mit Marshall Schritt zu halten, der sich mit gesenktem Kopf wie ein Bulle einen Weg durch die Masse bahnte. Am Ende klammerte er sich an die Djellaba seines Landsmanns, als ginge es um sein Leben, wie ein Kind an den Rockzipfel seiner Mutter. Der Markt flog in einer Folge traumartiger Bilder von schnurrbärtigen Fischen und bunten Gewürzen, Hühnerverschlägen,
Eidechsen und Schlangen, Ballen von Seide, Säcken voll Wolle, Messing, Glas und Silber an ihm vorbei, und überall riefen raue Stimmen in einer Sprache, von der er kein Wort verstand. Das alles machte ihn so schwindlig, dass ihm übel wurde.
    Schließlich bogen sie von der Hauptstraße nach links in eine kleine Seitengasse ab, bis der Lärm des Souks verebbte und Marshall seine Schritte verlangsamte. Rob merkte, dass er keuchte und nach Schweiß roch. Angst: Es war ein

Weitere Kostenlose Bücher