Die Zehnte Gabe: Roman
Privatgemach benutzte, warteten dort nicht nur Lady Margaret und ihr Gemahl, sondern auch Robert. Er trug sein bestes Wams und hatte sein störrisches blondes Haar glatt zurückgekämmt. Als sie ihn fragend ansah, wich er ihrem Blick aus.
Zehn Minuten später stand sie wieder draußen in dem langen dunklen Gang und zitterte vor Empörung, während Sir Arthurs Worte in ihren Ohren widerhallten.
»Am nächsten Sonntag werden wir das Aufgebot bestellen. Robert und du bekommt das kleine Cottage hinter dem Kuhstall. Morgen früh wird Matty dir helfen, es herzurichten.«
Das also sollte ihr Leben sein: ein für alle Mal an Kenegie gefesselt, mit ihrem dämlichen Vetter als Ehemann, verbannt in eine Hütte hinter dem Kuhstall. In dieser Nacht betete Cat darum, dass der Herr sie im Schlaf zu sich nähme. Sie wollte nie wieder aufwachen.
Nachdem sie sich stundenlang im Bett hin und her gewälzt hatte, zündete sie eine Kerze an und wandte sich dem Muster für
das Altartuch in ihrem Buch zu. Sie spitzte ihren Stift aus Graphit mit einem kleinen Messer an, das sie nur zu diesem Zweck hatte, und verpasste der Schlange im Schein der flackernden Kerze Nell Chigwines durchtriebenes Gesicht.
SIEBEN
Das also wird mein Leben sein, gefangen für immer hier auf Kenegie, verheiratet mit meinem dummen Vetter Robert. Auf daß ich in einer armseligen Hütte hinter dem Kuhstall hause, Jahr für Jahr ein neues Kind zur Welt bringe, einen Haufen Bälger großziehe & vergessen sterbe. Ich muß fort von hier. Die Countess of Salisbury wird Lady Harris im August einen Besuch abstatten. Wenn ich das Altartuch vorher fertig habe & sie überreden kann, mich mitzunehmen, gibt es vielleicht noch Hoffnung …
D as unerbittliche Klingeln des Telefons riss mich mit einem Schlag aus dem siebzehnten Jahrhundert heraus.
Ich lief in die Küche und starrte auf den Apparat, als könnte aus seinem Lärm plötzlich Michael auftauchen. Doch die Stimme, die auf das Band sprach, gehörte weder Michael noch einem anderen Mann.
»Julia?«
Es war meine Cousine Alison.
»Alison, wie schön, dich zu hören. Wie geht es dir? Ich wollte dich längst anrufen. Aber in letzter Zeit war das Leben nicht gerade …«
»Um Himmels willen, Julia, halt den Mund und hör mir zu.«
Erneut starrte ich auf das Telefon, dieses Mal schockiert. Alison war normalerweise das sanfteste Geschöpf der Welt. Dann hielt ich den Hörer wieder ans Ohr, vernahm aber nur ihr schweres Atmen, als wäre sie gerade eine ganze Meile gerannt.
»Es ist … es geht um Andrew -« Und dann brach sie in heftiges, unkontrolliertes Schluchzen aus.
Ich wartete, da ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Hatte er sie wieder einmal verlassen? Andrew Hoskin war schon immer ein Hallodri gewesen. Unter anderem waren sie nach Cornwall gezogen, weil er im Büro eine Affäre gehabt hatte, aber das war schon eine Weile her. Oder hatte sie ihn verlassen? Das hatte sie ihm seit Jahren angedroht, aber nie wahr gemacht, und ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass sie es jemals wirklich tun würde.
»Er … er ist tot.«
»O nein, Alison, nein! Das tut mir furchtbar leid. Ist alles in Ordnung mit dir? Ach, entschuldige, natürlich ist gar nichts in Ordnung. Mein Gott, was ist passiert?«
Es dauerte eine Weile, bis Alison sich wieder gefasst hatte. »Er … äh … er hat sich aufgehängt. Auf dem Dachboden. Ich -« Plötzlich ging die Erklärung in das Heulen eines Tieres über, das unerträgliche Schmerzen erleidet. Es erschütterte mich bis ins Mark.
»O Gott, Alison, das ist ja entsetzlich. Hör auf, bitte, hör auf. Ich bin sicher, dass es nichts mit dir zu tun hatte.«
Warum hatte ich das gesagt? Keine Ahnung. Natürlich hatte es auch etwas mit ihr zu tun: Immerhin war er ihr Mann gewesen. Am anderen Ende breitete sich ein unheilverkündendes Schweigen aus.
»Alison? Ich weiß wirklich nicht, warum ich das gesagt habe. Alison?«
Sie hatte aufgelegt. Den ganzen Tag versuchte ich, sie zu erreichen, doch es meldete sich immer nur der Anrufbeantworter. Schließlich hinterließ ich eine klägliche Entschuldigung und gab auf.
An diesem Abend las ich nicht weiter in Catherine Tregennas kleinem Buch, sondern legte es entschlossen beiseite. Ich dachte nicht über diese vor vierhundert Jahren verstorbene, weit entfernte
Frau und zur Abwechslung auch nicht über mein eigenes trostloses Leben nach, sondern über meine arme Cousine. Wie musste es sich anfühlen, sein Leben mit jemandem zu verbringen, der
Weitere Kostenlose Bücher