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Die Zehnte Gabe: Roman

Titel: Die Zehnte Gabe: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Johnson , Pociao
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presste das Brot und die Schale an sich und rannte zurück in den Obstgarten.
    Die Finger der Zigeunerin krallten sich um die Schale mit dem Brei wie die Klauen eines Falken um eine Maus. Einen Augenblick standen die beiden Frauen da, verbunden nur durch die Zinnschale, und Cat spürte ein seltsames Summen in den
Knochen. Dann brach die Ægypterin die Verbindung abrupt ab. Sie drückte die Schale an sich und schaufelte sich den Brei mit einer solchen Hast in den Mund, dass sie zwischendurch kaum zum Luftholen kam.
    »Nicht genug Rum«, sagte sie zum Schluss, wischte sich den Mund ab und reichte Cat die leere Schale zurück. Das Brot verstaute sie in irgendeiner riesigen, verborgenen Tasche ihrer Pluderhose.
    Cat verzog den Mund. Sie hatte nicht unbedingt Dankbarkeit, doch wenigstens eine gewisse Anerkennung für ihre Mühe erwartet. Sie streckte den Arm aus, mit der Handfläche nach oben, in der Hoffnung, dass zumindest die Geister etwas freundlicher wären, aber die Alte schob ihre Hand zur Seite. Cat hatte plötzlich ganz deutlich den Eindruck, dass die alte Frau sie nicht berühren wollte. »Du hast gesagt, dass du mir aus der Hand lesen wirst«, sagte sie scharf. »Nur aus diesem Grund habe ich dir den Weizenbrei und das Brot gebracht und dabei den Zorn meiner Herrin riskiert.«
    »Es ist nicht der Zorn deiner Herrin, den du fürchten musst, Mägdelein«, entgegnete die Alte und zwinkerte ihr zu. Es sah schrecklich aus. »Ich lese dir aus den Steinen, aber mach nicht mich verantwortlich, wenn dir nicht gefällt, was du hören wirst.« Bei diesen Worten kramte sie in einer anderen Tasche der Hose und zog einen kleinen Lederbeutel heraus, in dem es klapperte, wenn sie ihn bewegte. »Berühre die Steine, mein Kind, und denke an die Dinge, die dich am meisten bekümmern«, forderte sie Cat auf, und diese tat wie ihr geheißen und dachte an Rob und ihre Angst davor, eingesperrt zu werden, an das Altartuch und ihre Träume, dem Ganzen zu entkommen. Die Steine fühlten sich kühl und glatt an, wie Kiesel aus einem Fluss, nur auf einer Seite waren sie rau.
    »Du musst vier Steine ziehen, einen nach dem anderen, und sie dann dort auf den Boden legen.«
    Cats Finger liebkosten die Steine, als müsse sie sie besänftigen,
damit ihre Prophezeiungen milde ausfielen. Dann wählte sie einen aus und legte ihn auf den Boden. Auf der Oberfläche waren drei grobe Striche eingeritzt, die einem schiefen C glichen. »Der steht für deine Vergangenheit«, sagte die alte Frau und beäugte den Stein wie eine Drossel einen Wurm. »Nun, das ist ein Rätsel«, sagte sie geheimnisvoll. »Eine wilde Mischung von Blut hast du, mein Kind, und Blut wird fließen. Jetzt nimm den nächsten.«
    Cat runzelte die Stirn. Der zweite Stein zeigte ein Muster, das an zwei zerbrochene Glieder einer Kette erinnerte.
    »Es ist Zeit für Veränderung, aber die Folgen dieser Veränderung werden von deiner Beharrlichkeit abhängen.«
    Cat straffte das Kinn. Wenn Beharrlichkeit nötig war, um hier wegzukommen, würde sie Beharrlichkeit zeigen. Doch wenn man sie bis Ende des Sommers mit Robert verheiraten wollte, würde Beharrlichkeit wenig bewirken. »Wie lange muss ich beharrlich sein?«, platzte sie heraus. »Ich fürchte, dass es einiges gibt, was sich einfach nicht ertragen lässt oder sich gegen mich wendet, was immer ich tue.«
    Die alte Frau schnalzte mit den Zähnen. »Geduld, mein Vögelchen. Nimm den dritten.« Sie sah zu, als Cat ihn neben die beiden anderen legte. Ein Stein mit einer Zickzacklinie. »Ah, der Blitz!« Sie zog eine Grimasse. »Der Sieg über den Hochmut und der Zorn Gottes.«
    Cat hob die Brauen. Jetzt klang die Ægypterin wie Nell Chigwine. »Bist du ganz sicher? Könnte man das Zeichen nicht auch anders lesen?«
    »Zweifle nicht an den Steinen, Mägdelein. Sonst kommt es noch schlimmer.«
    »Ich glaube deinen Steinen nicht.«
    »Dann höre ich lieber auf und gehe meines Weges.«
    Cat seufzte. »Nein, bitte, tu das nicht. Ich möchte auch den Rest hören, wenn es dir recht ist.« Rasch nahm sie einen vierten Stein aus dem Beutel und legte ihn auf den Boden. Das Symbol
darauf war wie ein grob eingeritztes R, aber krumm und schief.
    Die Zigeunerin fing an zu lachen. »Da ist es, da ist es«, krächzte sie. »Mir dünkte doch gleich, dass … Ja, ja, bisweilen sprechen die Geister ganz laut zur alten Maggi. Da ist sie, klar wie der neue Tag: raido , die Reise. Du hast eine lange Reise vor dir, mein Vögelchen, du wirst sehr weit von hier

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