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Die Zehnte Gabe: Roman

Titel: Die Zehnte Gabe: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Johnson , Pociao
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sie den Blick nicht voneinander abwenden, dann löste der Pirat den Griff um den weichen Einband aus Kalbsleder. »Es ist ein Buch über das Sticken«, sagte Cat leise. »Seht, hier -« Sie öffnete es auf einer Seite, die sie noch nicht beschrieben hatte, und zeigte ihm eine Reihe von stilisierten Blumen, mit denen man Aufschläge oder Strümpfe verzieren konnte. »Es enthält Muster zum Kopieren. Wie das hier.« Wagemutig hob sie jetzt ihren Unterrock um ein oder zwei Zoll und zeigte ihm die feine Stickerei an den Knöcheln.
    Er neigte den Kopf zur Seite, um sie zu betrachten. »Und diese Arbeit hast du selbst gemacht?«
    »Ja.«
    Der raïs sagte etwas zu dem Schreiber, der daraufhin seiner Liste etwas hinzufügte. Dann warf er Cat den kleinen Beutel vor die Füße. »Frauen am Hof des Sultans bezahlen viel für solche
Arbeiten. Vielleicht kannst du ihnen neue Muster beibringen.« Seine Augen verengten sich. »Und vielleicht zeigt Sultan Moulay Zidane sich erkenntlich, wenn ich seinen Harem um ein derartiges Exemplar bereichere. Solch weiße Haut, und Haar, das leuchtet wie ein Sonnenuntergang, sieht man nicht oft. Wir setzen den Preis für eine so seltene Beute auf achthundert Pfund fest!«
    Achthundert Pfund! Das war eine ungeheure Summe. Mit hämmerndem Herzen presste Cat den Beutel an die Brust. Was bist du nur für ein dummes Ding, schimpfte eine innere Stimme. Hast du etwa geglaubt, du könntest diesen Mann überlisten? Nun hat er einen so hohen Preis auf deinen Kopf ausgesetzt, dass niemand es sich leisten kann, dich freizukaufen, und du wirst den Rest deines Lebens in einem fremden Land verbringen und dich nach dem Klang einer englischen Stimme sehnen oder der Berührung des kornischen Regens, nach Rob und seiner Freundlichkeit und all den gewöhnlichen Dingen des Lebens, die du aus schierem Hochmut gering geachtet hast.
    Einer der Piraten streifte ihr ein dickes wollenes Gewand über den Kopf und führte sie zurück ins Unterdeck. Sie stolperte vor ihm her wie in einem Traum, einem Albtraum, aus dem sie vielleicht nie wieder erwachen würde.

DREIZEHN
    Unsere Mitgefangenen nennen jene, die uns überfielen, die Freibeuter von Sallee & behaupten, sie kämen aus Marokko an der Küste der Barbaresken in Afrika, doch als die alte Ægypterin in meine Zukunft sah & prophezeite, ich hätte eine lange Reise vor mir, an deren Ende sich Himmel & Erde vereinten, hätte ich nie an derart Schröckliches gedacht. Wie wünschte ich, nicht ein solches Los erbeten zu haben! Wenn Gott mich itzo sähe, er würde lächeln über meine Torheit …
    N achdem ich diese letzten Einträge in Catherines kleinem Buch gelesen hatte, fand ich keinen Schlaf. Ich hatte mich langsam an die ungewohnte Rechtschreibung und die Ausdrücke gewöhnt, die ich nicht immer verstand und mit denen sie ihren Alltag auf Kenegie beschrieb, die kleinen Frustrationen und Eifersüchteleien des Lebens in einer geschlossenen Gemeinde, und mittlerweile hatte sie mich völlig in ihren Bann gezogen. Die bissigen Bemerkungen über die anderen Dienerinnen und auch ihre Wut, als man sie zwingen wollte, ihren Cousin zu heiraten, hatte ich nachempfinden können, obwohl ich ihn ziemlich anständig fand. Ich hatte mich sogar darauf gefreut zu erfahren, wie eine Hochzeit im siebzehnten Jahrhundert vonstattenging - die häuslichen Details, die Kleider, die Arrangements bei Tisch und natürlich, wie Cat mit ihrer Rolle als Ehefrau zurechtkäme. Ich spürte, wie mich dieses vor langer Zeit verstorbene Mädchen faszinierte. Ihr fernes Leben, ihre Hoffnungen und Ängste ließen mich nicht mehr los. Ich hätte
gern mehr über das Altartuch erfahren, das sie begonnen hatte, und ob die Countess of Salisbury je wieder aufgetaucht war oder nicht. Ich wollte wissen, ob die vornehme Lady und Cats Herrin über ihren ambitionierten Entwurf und seine gekonnte Ausführung gestaunt hatten, als sie ihnen endlich ihren Baum der Erkenntnis präsentieren durfte. Zugegeben, insgeheim hatte ich sogar gehofft, das Kunstwerk zu finden und in einem anerkannten Hochglanzmagazin einen brillanten Artikel darüber schreiben zu können, mit entsprechenden Illustrationen, versteht sich. Ich hatte sogar - Gott steh mir bei - mit der Idee gespielt, Anna zu fragen, welchen Zeitschriften ich den Artikel anbieten sollte.
    Die kurze, grausame Begegnung mit den Piraten traf mich völlig unvorbereitet. Ich hatte die ersten achtzehn Jahre meines Lebens in Cornwall verbracht, und von Barbaren und Piraten war

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