Die Zehnte Gabe: Roman
ihnen hielt den Prediger am Boden fest, während der andere das Eisen gegen seine weißen, runzligen Sohlen presste. Cat schloss die Augen, doch das Geräusch des glühenden Eisens, das sich durch die Haut brannte und im Blut zischte, konnte sie ebenso wenig aus ihrem Bewusstsein verbannen wie den Gestank nach verbranntem Fleisch, der ihr in die Nase stieg.
Während der Priester noch stöhnend auf dem Deck lag, durchsuchte Ashab Ibrahim seine Taschen und fand ein Obstmesser mit einem Griff aus Elfenbein, eine Hand voll kleiner Münzen und ein schmales, in Leder gebundenes Psalter. In diesem blätterte der raïs mit einiger Neugier, dann warf er es dem Priester wieder vor die Füße. »Wenn du mir nicht deinen Namen nennst, tragen wir dich als Imam in die Liste ein.«
»Hütet Euch, mir einen heidnischen Titel zu geben! Ich heiße Walter Truran, und daneben könnt Ihr schreiben: ›Gottesmann‹. Aber ich warne Euch jetzt schon, es gibt niemanden, von dem Ihr Lösegeld erpressen könnt.«
Der raïs zuckte mit den Schultern. »Dein Geist ist stark, dein Rückgrat auch. Vielleicht nimmt dich eine Sklavengaleere. Vielleicht will sich Sultan Moulay Zidane von deinen Tiraden unterhalten lassen. Deine Füße werden nicht verbunden, damit alle sehen, was mit denen passiert, die glauben, dass sie mir trotzen können. Von heute an wirst du bei jedem Schritt das Symbol deiner verfluchten Religion mit Füßen treten, und so soll es sein.«
Anschließend wurde Cat vor den Anführer des Piratenschiffs geführt. Sie war so eingeschüchtert von dem, was Reverend Truran widerfahren war, dass sie es kaum über sich brachte, seinen Folterer anzuschauen. Sie hielt den Blick auf den Boden gesenkt
und betete heimlich, dass er sie möglichst schnell abfertigen würde. Selbst der Morast, die Unbequemlichkeit und die Dunkelheit des Unterdecks waren besser als das hier. Ihre Knie zitterten unkontrolliert.
»Was ist dein Name?«
»Catherine«, begann sie. Ihre Stimme piepste wie die einer Maus. Dann holte sie tief Luft und versuchte es noch einmal. »Catherine Anne Tregenna.«
»Du trägst ein grünes Kleid, Cat’rin Anne Tregenna. Warum?«
Das war eine so unerwartete Bemerkung, dass ihr Kopf nach oben schnellte und sie sich dabei ertappte, wie sie dem raïs direkt in die Augen sah. Sein Blick verbrannte sie. »Ich … ah … es ist ein altes Kleid, Sir.«
»Grün ist die Farbe des Propheten. Nur seine Nachkommen dürfen sie tragen. Bist du Nachkommin des Propheten?«
Entsetzt schüttelte Catherine den Kopf. Ihre Zunge klebte am Gaumen.
»Zieh es aus! Ist eine Beleidigung des Propheten, wenn man zu Unrecht seine Farbe trägt.«
Cats Augen weiteten sich. »Ich … kann nicht … es ist am Rücken verschnürt -«
Al-Andalusi beugte sich vor. »Eine Frau, die sich nicht selbst anziehen kann, muss von Sklaven angezogen werden. Bist du reich, Cat’rin Anne Tregenna?«
Was war die richtige Antwort? Cat suchte nach einer Eingebung. Wahrscheinlich war es das Beste, sie in dem Glauben zu lassen, dass es sich lohnen würde, sie heil und gesund zu erhalten, wenn man auf ein Lösegeld aus war. Sie wollte weder über Bord gestoßen noch wie der Priester gebrandmarkt oder wie eine billige Dirne der bestialischen Mannschaft überlassen werden. Sie richtete sich auf. »Ich bin Catherine Tregenna von Kenegie Manor und nicht mittellos.«
Der raïs übersetzte das für den Schreiber, und Amin schrieb
es rasch nieder. »Dreh dich um«, sagte er dann und nahm einen reich verzierten Krummdolch aus dem Gürtel.
Das Schlimmste befürchtend, folgte Cat seinem Befehl und wartete auf die Berührung der kalten Klinge an der Kehle. Stattdessen vernahm sie ein reißendes Geräusch und spürte ein Nachlassen des Drucks, und im nächsten Moment bauschte sich das grüne Kleid um ihre Knöchel, während sie zitternd in ihrem baumwollenen Unterrock dastand. Instinktiv verschränkte sie die Arme vor der Brust, als sie spürte, dass die Augen der Mannschaft wie schmutzige Insekten über ihre blasse weiße Haut krochen.
Al-Andalusi bückte sich und schüttelte den Stoff aus. Ein kleiner Beutel fiel heraus, den er sofort ergriff. »Was ist das? Eine Bibel, Gebete an euren Gott?« Er fuchtelte mit dem kleinen Buch herum.
Im gleichen Moment wurde sie von einem übermächtigen Gefühl gepackt. Niemand durfte ihr Buch anrühren: Es gehörte ihr, und es barg ihre tiefsten Geheimnisse. Ohne nachzudenken griff sie danach, um es ihm abzunehmen. Einen Moment lang konnten
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