Die Zehnte Gabe: Roman
Geld.«
»Und außerdem habe ich in ihrem Cousin Idriss einen Leibwächter.«
»Soll das ein Witz sein? Du kennst ihn doch nicht mal. Er könnte ja auch genau das Problem sein.«
»Hör zu, ich habe nur angerufen, um es dir zu sagen«, gab ich ärgerlich zurück. »Und dir meine neue Handy-Nummer zu geben. Ich rufe dich an, wenn ich im riad angekommen bin, okay?«
Ich hörte sie seufzen. »Tja, wenn ich dich partout nicht davon abbringen kann.«
»Der Flug geht morgen früh um zehn; am frühen Nachmittag müsste ich da sein.«
» Insha’allah .«
»Sehr witzig.«
SIEBZEHN
CATHERINE
August 1625
A ls Al-Andalusi so weit genesen war, dass er das Kommando wieder übernehmen konnte, wurden die Tage lang und leer. Jeden Morgen erhob sich der raïs im Morgengrauen beim ersten Ruf des Vorbeters und wusch sich hinter einem holzgeschnitzten Wandschirm aus Mahagoni. Eine Schüssel mit kaltem Wasser vor sich, befolgte er die vorgeschriebenen Gesten mit ritueller Sorgfalt. Dann griff er nach der Krücke, die seine Männer ihm gebastelt hatten, und humpelte durch den Gang und hinauf an Deck. Erst bei Sonnenuntergang sah Cat ihn wieder.
Zuerst fiel es ihr schwer, die Zeit totzuschlagen. Sie blieb im Halbdunkel liegen und wartete, dass jemand an der Tür klopfte und ihr das Frühstück brachte, mit dem sie den Tag begann - ein Stück hartes Brot, etwas Öl, ein wenig Honig, erheblich heller und weniger scharf als der, mit dem sie die Wunden des raïs desinfiziert hatte, und von Zeit zu Zeit eine seltsame heiße Flüssigkeit, mit Kräutern und sehr viel Zucker gewürzt, die sie gierig hinunterstürzte. Der Ruf zum Gebet erscholl noch einmal am Vormittag und um die Mittagszeit, wenn die Sonne im Zenit stand, und immer noch kam er nicht zurück. Nach ein paar Tagen fiel ihr auf, dass sie seine Gegenwart vermisste, und das machte ihr Sorgen. Müsste sie ihren Entführer nicht hassen und ihm den Tod wünschen? Sie dachte an ihre Familie und ihre Landsleute in dem stinkenden Unterdeck, und wie überrascht sie wären, wenn sie sehen könnten, in welchem Überfluss sie
lebte. Dann fühlte sie sich noch schuldbewusster als zuvor. Vor einigen Tagen erst hatte sie den Mut aufgebracht, den raïs zu fragen, ob sie ihre Mutter zu sich in die Kajüte holen dürfte, doch er hatte ohne ein Wort sein Gesicht mit der Hakennase abgewandt, und sie war nicht einmal sicher, dass er ihre Bitte überhaupt verstanden hatte. Irgendetwas Unangenehmes und Unausgesprochenes hatte sich zwischen ihnen ausgebreitet, eine Spannung, die sie nicht benennen konnte. Manchmal glaubte sie, dass er sich schämte, weil sie ihn in seinem schwächsten und ungeschütztesten Augenblick gesehen hatte, andere Male schien er sich auf obskure Weise über sie zu ärgern und saß missmutig da, starrte in eine Kerzenflamme oder las in einem kleinen Buch mit Ledereinband, als wäre sie gar nicht anwesend, während sich seine Lippen stumm bewegten.
So wanderte sie durch die Kajüte, fasziniert von den exotischen Objekten, die er hier versammelt hatte. Sie strich mit der Hand über die fein geschnitzten Tischchen, deren blank polierte Messingoberflächen mit eingearbeiteten Mustern oder Intarsien aus Perlmutt und Elfenbein geschmückt waren, über die Laternen mit Sternenmustern, die aus dem Metall gestanzt waren, oder die herrlich bunten Stoffe der Wandbehänge. Es gab zwei massive, durch eine Kette verbundene silberne Armreifen, mit Edelsteinen und Ziernägeln besetzt und mit verschlungenen Mustern geschmückt, die sich mit einem Scharnier öffnen und einem langen Dorn wieder schließen ließen. Sie waren so groß, dass sie sie einfach überstreifen konnte, ohne den Dorn zu benutzen; sie passten problemlos auf ihren Oberarm, der raïs aber trug sie am Handgelenk. Sie untersuchte die seltsame, kristalline Substanz in einem kleinen Messinggefäß über der Kohlepfanne, die er häufig nach seinem Abendgebet entzündete: Ihr kräftiger Duft erfüllte die Kajüte noch am nächsten Morgen. Er durchdrang ihre Kleider; sie konnte ihn in ihrem Haar riechen, selbst wenn sie es gewaschen hatte, was sie gelegentlich tat, nur um die langen Stunden der Einsamkeit zu
überbrücken. Sie schrieb in ihr kleines Notizbuch und nutzte die Gelegenheit, den winzigsten Raum mit ihrer kaum noch leserlichen Handschrift zu füllen. Sie lag auf den Kissen und dachte, wie merkwürdig diese Menschen waren, die Objekte, die zur Bequemlichkeit dienen sollten, mit Perlen und Edelsteinen verzierten.
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