Die zehnte Kammer
kein Tageslicht mehr hereindrang. Der Boden war makellos glatt, ebenso wie die Wände. Er war der Erste, der diese Höhle betrat! Innerlich fing er an zu jubeln.
Tals Höhle!
Er sollte der Anführer seines Klans werden, und wenn die Zeit gekommen war, dann würde er seine Leute hinauf zu dieser Höhle führen.
Als am nächsten Tag die Sonne schon hoch am Himmel stand, kehrte Tal zum Lager zurück. Er erzählte dem Klan, dass er den Gesang ihrer Vorfahren gehört und eine neue Höhle in der Felswand gefunden hatte, aber niemand hörte ihm richtig zu. Stattdessen zeigten alle auf den Boden beim großen Feuer. Die Frauen weinten.
Uboas rannte auf Tal zu und packte ihn am Arm. Sie führte ihn zu ihrem Bruder, der neben dem Feuer lag und sich in wilden Zuckungen hin und her warf. Dabei brabbelte er sinnloses Zeug und schlug auf jeden ein, der sich ihm näherte.
Tal wollte wissen, was geschehen war, und Uboas erzählte es ihm.
Die Sandsteinschüssel seiner Mutter hatte direkt neben dem Feuer gestanden. Die Hitze der Flammen und die Wärme der Sonne hatten deren Inhalt zum Zischen und Brodeln gebracht. Gos, der furchtbar neugierig war, hatte den Finger in die Mischung aus Pflanzenpaste und Regenwasser getaucht und die rote Flüssigkeit gekostet. Sie schmeckte ihm so gut, dass er mehr und immer mehr davon getrunken hatte.
Und dann hatte er plötzlich angefangen, wirres Zeug zu reden und um sich zu schlagen, und erst jetzt wurde er ein wenig ruhiger.
Tal setzte sich neben ihn, legte den Kopf des Jungen in seinen Schoß und streichelte ihm die Wangen. Die Berührung schien den Kleinen zu beruhigen, und er sah Tal mit großen Augen an.
Tal fragte, wie er sich fühle, und sagte ihm, er solle keine Angst haben. Er würde bei ihm bleiben, bis es ihm wieder gutginge.
Der Junge fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und bat um Wasser. Als er sich wieder aufrichten konnte, deutete er sofort auf die Sandsteinschüssel.
Er wollte mehr von der roten Flüssigkeit!
ACHTZEHN
Samstagabend
General Gatinois’ Mätresse war kurz vor dem Orgasmus, oder zumindest tat sie so. Also durfte er nun ebenfalls fertig werden und von ihr heruntersteigen.
Er verstärkte seine Anstrengungen und brach in Schweiß aus.
Gerade als seine Geliebte rhythmisch zu stöhnen begann, stieß sein Handy einen erstaunlich ähnlichen Klingelton aus.
Gatinois griff nach dem Apparat, den er auf den Nachttisch gelegt hatte, was seine Geliebte wiederum so wütend machte, dass sie ihn von sich schob, aufstand und ins Badezimmer ging – nackt, blass und leise fluchend.
»Störe ich, mon Général?«, fragte Marolles.
»Nein«, gab Gatinois zurück. »Was gibt es denn?« Es machte ihm wirklich nichts aus, dass er nicht zum Höhepunkt gekommen war. Der Sex war für ihn sowieso vorhersehbar und langweilig.
»Wir haben es geschafft, den Server von PlantaGenetics zu hacken und uns den Bericht zu beschaffen, den Dr. Prentice am Montag Simard und Mallory übergeben will.«
»Und?«
»Ziemlich beunruhigend. Obwohl er noch zu keinem abschließenden Ergebnis kommt, ist er auf dem besten Weg, wenn er auf der richtigen Spur bleibt.«
»Senden Sie mir den Bericht per Mail. Ich bin gerade nicht zu Hause, werde aber bald dort sein.«
»Jawohl, mon Général.«
»Aber, Marolles, die Zeit ist knapp. Warten Sie nicht auf meine Beurteilung des Berichts, sondern geben Sie unseren Leuten grünes Licht. Sie sollen tun, was wir für diesen Fall besprochen haben.«
Marolles klang nicht sonderlich glücklich. »Sind Sie sicher, mon Général?«
»Ja, bin ich!«, polterte Gatinois, der sich über die Frage ärgerte. »Ich habe keine Lust, mich in den Élysée-Palast bestellen zu lassen und dem Präsidenten zu erklären, warum unser größtes Staatsgeheimnis durch mein Verschulden keines mehr ist!«
NEUNZEHN
Sonntag
Das Camp der Archäologen bei der Abtei von Ruac lag an diesem Sonntagabend traurig und verlassen da.
Ein Großteil des Teams hatte seine Sachen gepackt und war am Vormittag abgereist. Luc und Sara waren am Mittag aufgebrochen, um ihr Flugzeug nach London zu erwischen. Nur ein kleiner Rest der Truppe blieb zurück, um die Höhle für die kalte Jahreszeit vorzubereiten und sie dann zuzusperren.
Das Camp, fünfzehn Tage lang der Nabel der paläolithischen Archäologie, war somit fast vollständig verwaist.
Jeremy und Pierre, denen Luc vier Studenten als Hilfskräfte zugeteilt hatte, waren dafür verantwortlich, das Camp aufzuräumen. Die einzige
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