Die Zeit: auf Gegenkurs
hindern.«
»Glauben Sie nicht auch, daß die Polizei eingreifen wird?«
»Oh, nein«, sagte Leopold Haskins und holte tief Luft. »Die Polizei von Los Angeles haßt die Bibliothek genauso sehr wie wir.«
»Und warum, Sir?«
»Die Polizei von Los Angeles weiß«, erklärte Haskins, »daß die Bibliothek gestern diesen Polizisten ermordet hat, diesen Tinbane.«
»Man hat uns erzählt …«
»Ich weiß, was man Ihnen erzählt hat«, unterbrach Haskins mit vor Erregung schriller Stimme, »aber es waren keine ›religiösen Fanatiker‹, wie behauptet wird. Die Polizei weiß, wer es getan hat, und wir wissen, wer es getan hat.«
Die Kamera schwenkte dann auf einen unbehaglich dreinschauenden, sehr dünnen Schwarzen, der ein weißes T-Shirt und eine dunkle Hose trug. »Sir«, wandte sich der Fernsehreporter mit dem Mikro in der Hand an den Schwarzen, »können Sie uns bitte Ihren Namen verraten?«
»Jonah L. Sawyer«, sagte der dünne Schwarze mit krächzender Stimme.
»Und warum sind Sie heute hier, Sir?«
»Ich bin hier«, erklärte Sawyer, »weil die Bibliothek vernünftigen Argumenten nicht zugänglich ist und den Anarchen nicht freilassen wird.«
»Und Sie sind hier, um ihn herauszuholen?«
»Das stimmt, Sir; wir sind hier, um ihn herauszuholen«, nickte Sawyer ernsthaft.
Der Fernsehreporter fragte: »Und wie genau wollen Sie das erreichen, Sir? Haben die Uditen einen bestimmten Plan?« »Nun, wir haben unsere Elitetruppe, die Jünger der Macht, geholt, und sie halten sich bereit; sie waren es, die uns aufgefordert haben, heute hierher zu kommen. Ich kenne natürlich nicht ihre genauen Pläne, aber …«
»Aber Sie glauben, daß sie es schaffen.«
»Ja, ich glaube, sie schaffen es«, nickte Sawyer.
»Vielen Dank, Mr. Sawyer«, sagte der Fernsehreporter. Dann verwandelte er sich in sein späteres Ich und saß – live – an seinem Tisch, vor einem Stoß Nachrichtenbulletins. »Kurz vor achtzehn Uhr«, fuhr er fort, »wurde die Menge, die die Stadtbibliothek umstellt hatte und in der Zwischenzeit auf mehrere tausend Köpfe angewachsen war, allmählich unruhig, wie aus einer Ahnung heraus, daß etwas geschehen würde. Und es geschah auch etwas. Aus dem Nichts, so schien es, tauchte eine Kanone auf und begann in sporadischen Abständen die Bibliothek mit schlecht gezielten Schüssen einzudecken. Sie feuerte Granate auf Granate gegen das große graue Steingebäude, in dem die Stadtbibliothek untergebracht ist. Daraufhin geriet die Menge in Raserei.« Der Bildschirm zeigte jetzt die tobende Menge, Tumulte und Gebrüll, ekstatische Gesichter. »Vor diesem Zwischenfall sprach ich mit dem Polizeichef von Los Angeles, Michael Harrington, und fragte ihn, ob die Bibliothek polizeiliche Unterstützung angefordert hätte. Hören Sie jetzt Polizeichef Harringtons Antwort.«
Auf dem Bildschirm erschien nun ein stiernackiger Weißer mit Doppelkinn und Kabeljauaugen, der eine Uniform trug und sich verschlagen umschaute, während er seine Lippen befeuchtete. »Die Stadtbibliothek«, intonierte er mit lauter, bestimmter Stimme, »hat keine derartige Bitte an uns gerichtet. Wir haben mehrfach versucht, mit ihr Verbindung aufzunehmen, aber nach unseren Erkenntnissen haben gegen sechzehn Uhr dreißig alle Bibliotheksangestellten das Gebäude verlassen; es steht jetzt leer, und sein weiteres Schicksal hängt davon ab, welche Absichten diese gewalttätige, illegale Versammlung gegen die Bibliothek verfolgt.« Er schwieg einen Moment und überlegte. »Wir haben außerdem erfahren – aber meines Wissens handelt es sich dabei um eine unbestätigte Meldung –, daß eine militante Fraktion unter den Uditen plant, eine atomar munitionierte Kanone gegen das Bibliotheksgebäude einzusetzen, um der Menge einen Weg ins Innere zu bahnen und ihren einstigen Führer, den Anarchen Thomas Peak zu befreien, der ihrer Meinung nach, dort festgehalten wird.
Wird der Anarch Peak dort festgehalten, Polizeichef Harrington?« fragte der Fernsehreporter.
»Soweit wir wissen«, antwortete der Polizeichef von Los Angeles, »ist es durchaus möglich, daß sich der Anarch Peak in der Bibliothek befindet. Wir wissen es nicht mit Sicherheit.« Seine Stimme wurde leiser, als wäre er mit den Gedanken woanders; dabei sah er die ganze Zeit aus den Augenwinkeln auf etwas oder jemand außerhalb des Bildbereichs. »Nein, wir wissen nicht, ob er sich im Gebäude befindet oder nicht.«
»Wenn sich der Anarch dort befindet«, sagte der Reporter, »wie die
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