Die Zeit: auf Gegenkurs
Frauenstimme: »Bitte, wer immer da auch ist; ich möchte heraus. Können Sie mich hören? Ich weiß, daß jemand da oben ist; ich kann Sie reden hören.«
Tinbane steckte den Kopf durch das offene Fenster des Streifenwagens und brüllte: »Wir holen Sie in Kürze heraus, Lady. Nur noch ein wenig Geduld.«
»Welches Jahr haben wir?« rief die ältliche Stimme zurück. »Wieviel Zeit ist vergangen? Haben wir immer noch 1974? Ich muß es wissen; bitte, sagen Sie es mir, Sir.«
Tinbane sagte: »Wir haben 1998.«
»Ach du meine Güte.« Betroffenheit. »Nun, ich schätze, ich werde mich daran gewöhnen müssen.«
»Ich schätze«, bestätigte Tinbane, »Sie haben keine andere Wahl.« Er nahm einen Zigarettenstummel aus dem Aschenbecher des Wagens, zündete ihn an und dachte nach. Dann schaltete er wieder das Mikro ein. »Ich bitte um die Erlaubnis, mich mit einem Privatvitarium in Verbindung setzen zu dürfen.«
»Abgelehnt«, drang es aus dem Funkgerät. »Es ist schon zu spät.«
»Aber«, wandte er ein, »ich könnte es zumindest versuchen. Einige von den größeren lassen ihre Spähambulanzen die ganze Nacht durch die Gegend fahren.« Er hatte ein bestimmtes Vitarium im Sinn, ein kleines, altmodisches. Mit anständigen Verkaufsmethoden.
»So spät abends ist es unwahrscheinlich …«
»Der Mann kann das Geschäft brauchen.« Tinbane schaltete den auf dem Armaturenbrett seines Wagens befestigten Vidfonempfänger ein. »Ich möchte mit Mr. Sebastian Hermes sprechen«, sagte er zur Vermittlung. »Suchen Sie ihn; ich werde warten. Versuchen Sie es zuerst in seinem Unterneh men, im Vitarium Flasche des Hermes; wahrscheinlich läßt er sich in der Nacht die Gespräche in seine Wohnung legen.« Sofern es sich der arme Teufel derzeit leisten kann, dachte Tinbane. »Rufen Sie mich zurück, sobald Sie ihn gefunden haben.« Dann legte er auf und blies Rauch in seine Zigarette.
Das Vitarium Flasche des Hermes bestand hauptsächlich aus Sebastian Hermes selbst, hinzu kamen noch die bescheidenen Dienste von fünf Mitarbeitern. Das Unternehmen stellte niemanden ein und warf niemanden hinaus. Soweit es Sebastian betraf, waren die Leute seine Familie. Er hatte keine andere, alt wie er war, schwergewichtig und nicht sehr liebenswert. Sie hatten ihn im Auftrag eines anderen, früheren Vitariums vor nicht einmal zehn Jahren ausgegraben, und in der finstersten Stunde der Nacht spürte er noch immer die Kälte des Grabes. Vielleicht brachte er deshalb dem Elend der Altgeborenen soviel Mitgefühl entgegen.
Die Firma war in einem kleinen, hölzernen Mietshaus untergebracht, das den Dritten Weltkrieg und sogar die Ausläufer des Vierten überstanden hatte. Jedenfalls war er zu dieser späten Stunde natürlich zu Hause im Bett und schlief in den Armen Lottas, seiner Frau. Sie hatte solch attraktive, besitzergreifende Arme, ewig nackte, ewig junge Arme; Lotta war viel jünger als er: zweiundzwanzig nach der Zeitrechnung der VorHobart-Ära, die sie beibehielt, da sie nicht gestorben und wiedergeboren worden war wie er, der viel Ältere.
Das Vidfon neben seinem Bett klingelte; er griff danach, aus einem beruflichen Reflex heraus, und nahm ab.
»Ein Anruf von Mr. Tinbane von der Polizei, Mr. Hermes«, meldete sich fröhlich seine Telefonistin.
»In Ordnung«, sagte er, lauschte in die Dunkelheit und betrachtete den matten, kleinen, grauen Bildschirm.
Das beherrschte Gesicht eines jungen Mannes erschien; er kannte ihn. »Mr. Hermes, ich habe hier eine Auferstandene auf einem gottverlassenen drittklassigen Flecken namens Forest Knolls; sie schreit, daß man sie herauslassen soll. Können Sie sofort kommen, oder soll ich einen Luftschacht bohren? Ich
habe die Ausrüstung natürlich in meinem Wagen.«
»Ich trommle meine Mannschaft zusammen und mach mich gleich auf den Weg«, erklärten Sebastian. »In einer halben Stunde sind wir da. Kann sie es so lange aushalten?« Er knipste die Nachttischlampe an, griff nach Papier und Bleistift und versuchte sich zu erinnern, ob er je von Forest Knolls gehört hatte. »Der Name.«
»Mrs. Tilly M. Benton, sagt sie.«
»Okay«, nickte er und legte auf.
An seiner Seite rührte sich Lotta und fragte schlaftrunken: »Ein Auftrag?«
»Ja.« Er wählte die Nummer von Bob Lindy, seinem Ingenieur.
»Soll ich dir Sogum heiß machen?« fragte Lotta; sie war bereits aufgestanden und stolperte im Halbschlaf zur Küche.
»Wunderbar«, sagte er. »Danke.« Der Bildschirm wurde hell, und das düstere
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