Die Zeit der Androiden
dem Ablagefach des Lieferwagens, schob das Mikrophon in sein Ohr und schaltete es ein.
Nachdem er eine halbe Minute damit verbracht hatte, den Abstimmknopf hin und her zu drehen, erblaßte er. Das Abhörgerät war empfindlich genug, das Atmen und sogar die Herzschläge eines Schlafenden aufzunehmen; und so wußte er mit absoluter Sicherheit, daß Barbara Ellingtons Appartement in diesem Moment keinen lebenden Bewohner hatte.
Hastig schloß er den Rückspielmechanismus an das kleine Gerät, stellte ihn eine Stunde zurück, steckte das Mikrophon wieder in sein Ohr und lauschte der Aufnahme.
Schon nach Sekunden entspannte er sich.
Vor einer Stunde war Barbara Ellington in diesem Zimmer gewesen und hatte geschlafen. Atem gleichmäßig und ruhig, Herzschlag langsam und kräftig. Dr. Gloge hatte ähnliche Aufnahmen von zu vielen Versuchstieren gehört, um den leisesten Zweifel zu haben. Diese Versuchsperson war erfolgreich und ohne Schaden zu nehmen ins erste Stadium der Omega-Stimulierung gelangt!
Barbara Ellington erwachte an diesem Donnerstagmorgen mit einem Gedanken, den sie noch nie gehabt hatte: Das Leben muß nicht so ernst sein!
Sie bedachte diese frivole Idee mit beginnender Verblüffung, als ein zweiter Gedanke kam, der ihr auch noch nie in ihrer ganzen bisherigen Existenz gekommen war: Was soll dieser verrückte Drang, mich einem Mann zu versklaven?
Sie zog sich rasch an. Als sie in den Spiegel blickte, fand sie, daß sie besser aussah als sonst. Viel besser! Sie betrachtete sich genauer. Natürlich war es ihr vertrautes Gesicht, aber es war auch das Gesicht einer strahlenden Fremden, lebendig, wach, sprühend von Energie.
Tatsächlich fühlte sie sich doppelt so munter wie sonst. Sie beschloß loszufahren und Vince zu wecken.
Sie läutete fünfmal, bevor sich etwas regte. Dann rief seine Stimme, schlaftrunken und rauh: »Wer ist da?«
Barbara lachte. »Ich bin es!«
Jemand fummelte am Schloß, und die Tür wurde geöffnet. Vince stand vor ihr und starrte sie aus blutunterlaufenen Augen an. Er hatte einen Morgenmantel über seinem Pyjama gezogen, sein knochiges Gesicht war verschwitzt und gerötet, sein Haar wirr.
»Was läufst du um diese Zeit in der Gegend ‘rum?« fragte er, als Barbara an ihm vorbei in die winzige Diele trat. »Es ist erst halb sechs!«
»Es ist ein herrlicher Morgen. Ich konnte nicht im Bett bleiben. Ich dachte, wir könnten ein bißchen spazierenfahren, bevor wir zur Arbeit gehen.«
Vince Strather schloß die Tür und blinzelte sie ungläubig an. »Spazierenfahren!« echote er.
»Fühlst du dich nicht gut, Vince?« fragte Barbara. »Du siehst beinahe so aus, als ob du Fieber hättest.«
Vince schüttelte seinen Kopf. »Ich glaube nicht, daß ich Fieber habe, aber ich kann nicht behaupten, daß ich mich gut fühle. Ich weiß nicht, was los ist. Komm ‘rein und setz dich. Willst du Kaffee?«
»Eigentlich nicht. Aber ich kann dir welchen kochen, wenn du magst.«
»Nein, laß nur. Mir ist zum Kotzen.« Er setzte sich auf die Kante der Couch, wo er sein Bettzeug hatte, nahm Zigaretten und Zündhölzer vom Tisch, zündete eine Zigarette an und schnitt eine müde Grimasse. »Schmeckt auch nicht.« Er warf Barbara einen düsteren Blick zu und sagte: »Gestern ist was verdammt Komisches passiert. Klingt einfach verrückt, glaube ich. Du kennst diesen Doktor Gloge, für den du mal gearbeitet hast?«
Es schien Barbara, daß ganze Sektionen ihres Verstandes in diesem Augenblick in hellem Licht erstrahlten. Sie hörte Vince seine Geschichte erzählen, aber abgesehen von Hammonds Intervention war es etwas, das sie schon kannte.
Teil einer viel größeren Geschichte …
Dieser unverschämte kleine Mann! dachte sie. Was für eine unglaubliche, großartige Tat!
Sie fühlte sich von einer tiefen Erregung aufgewühlt. Das Papier, das sie auf Helen Wendells Schreibtisch gesehen hatte, kam ihr in den Sinn; sie sah jedes Wort klar und deutlich vor sich – und nicht nur die Worte!
Jetzt verstand sie. Die Bedeutung, die Folgerungen, die Möglichkeiten, die sich dahinter verbargen – für sie selbst und für Vince.
Ein anderes Gefühl erwachte. Etwas wie geschärfte Aufmerksamkeit, das Bewußtsein einer Gefahr. John Hammond … Helen … die vielen kleinen Eindrücke und Beobachtungen flossen auf einmal zu einem Bild zusammen, einem etwas unklaren und verwirrenden Bild von etwas – Übernormalem.
Wer waren sie? Was taten sie? In vielerlei Weise paßten sie eigentlich nicht in ein
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