Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
eine der Ältesten, fast als wäre es Cat gewesen, die das Gewehr auf Te Ronga abgefeuert hatte. »Te Ronga ist tot, und du hältst zu ihren Mördern!«
»Aber das tue ich doch gar nicht!« Cat wusste nicht, wie ihr geschah. Gerade war ihre Welt erschüttert worden, jetzt zog ihr der Stamm gänzlich den Boden unter den Füßen weg. »Ich habe nur … ich habe nur in ihrem Sinne gehandelt … Te Ronga hätte den pakeha-tohunga nicht getötet …«
»Te Ronga war eine von uns, und sie hätte getan, was der Rat beschlossen hat!«
Wieder die Stimme der Ältesten, und Cat sah entsetzt, dass sich der bislang lockere Ring der Dörfler um sie schloss. Nicht alle wirkten feindselig, die Mehrheit schien ihr einfach gleichgültig gegenüberzustehen. Mitgefühl sah sie allerdings höchstens in den Augen von Te Puaha, der auch die Hand an seiner Kriegskeule hielt. Vielleicht wäre wenigstens er bereit, sie zu verteidigen. Auf jeden Fall machte sein freundliches Gesicht ihr Mut, und sie fand noch einmal die Kraft zu widersprechen.
»Der Rat hätte das nie beschlossen, wäre Te Ronga dabei gewesen!«
»Vielleicht hättest du sie ja beeinflusst? Tochter der pakeha! «
Hakis Mutter schleuderte Cat diese Worte entgegen – und Cat erkannte mit einem Mal den Hass und die Missgunst, die wohl von Anfang an hinter der freundlichen Fassade in einigen der Stammesmitglieder geschwelt hatten. Wäre Cat nicht gewesen, hätte Te Ronga vielleicht Haki erwählt, ihr auf dem Pfad der tohunga zu folgen. Sie hätte vielleicht Omaka und Maputa erklärt, wie man die Rinde des Kowhai erntete und gegen welche Krankheiten getrocknete Koromiko-Blätter wirkten.
»Das pakeha -Mädchen hat meine Frau verhext!«, giftete Te Rangihaeata. »Te Ronga hatte keine Kinder, wer weiß, wessen Schuld das war! Wir sollten sie den anderen pakeha folgen lassen, wir …«
»Genug!«
Te Rauparaha hob bedrohlich das Beil des Häuptlings, um sich in dem allgemeinen Aufruhr Gehör zu verschaffen. Dann trat er zwischen Cat und seinen Schwiegersohn.
»Ich lasse nicht zu, dass Te Rongas Geist beleidigt wird, noch bevor sie in ihrem Grab liegt! Meine Tochter war tohunga , sie war eine weise Frau, sie sprach mit den Göttern. Wie hätte also ein kleines pakeha -Mädchen sie verhexen können? Wer weiß, vielleicht spricht sie ja noch einmal mit uns durch den Mund ihrer erwählten Tochter …«
Cat sah ungläubig zu ihm auf. Sollte er ihr wirklich helfen? Ihre Stellung im Stamm wiederherstellen? Aber gleichzeitig wusste sie, dass dies unmöglich war. Die Worte der Frauen hatten alles zerstört.
»Te Ronga machte keinen Unterschied zwischen Maori und pakeha «, brachte sie trotzdem noch vor. »Erinnert ihr euch nicht an das Lied, das sie uns beigebracht hat? He aha te mea nui o te ao? He tangata! He tangata! He tangata! Die Menschen sind das Wichtigste auf der Welt, sie …«
Der Häuptling nickte begütigend. »Es ist gut, Mädchen, wir haben sie gekannt. Wenn dies vorbei ist, wird der Stamm sich wieder an die erinnern, die sie war …«
Wenn dies vorbei ist? Cat sah ihn verständnislos an. Was sollte vorbei sein? Dieses Tribunal gegen sie? Oder ihre Zeit bei den Ngati Toa? Dachte der Häuptling doch daran, sie zu töten?
Te Rauparaha ging in einem großen Kreis um sie herum, woraufhin die Menschen zurückwichen. Es galt als tapu , wenn der Schatten des Häuptlings auf einen seiner Untertanen fiel.
»Du kannst nicht bleiben, Cat!«, sagte er dann, und Cat fühlte Kälte in sich aufsteigen, als sie ihren englischen Namen hörte. »Du hast gestern bewiesen, wohin du gehörst – ob aus eigenem Antrieb oder geleitet vom Geist meiner Tochter, das ist unerheblich. Aber du wirst zurückgehen zu deinem Volk – sieh es als Strafe oder als Auftrag. Geh getrieben von dem Hass Te Rangihaeatas oder geleitet von der Liebe des Geistes Te Rongas. Niemand wird dich verfolgen, niemand wird dir etwas antun – doch es gibt auch keinen Weg mehr zurück. Haere ra , Poti!«
Der Häuptling senkte kurz respektvoll den Kopf, einen Gruß, den er nur einer tohunga gewährte. Dann hob er die Hand, und der Kreis der Ngati Toa teilte sich für Cat.
Die junge Frau musste sich zwingen, aber sie ging hoch erhobenen Hauptes. Sehr langsam schritt sie über den Dorfplatz, durch das Tor zum Fluss. Sie würde sich nicht durch eine Seitenpforte davonstehlen wie ein Dieb … Erst als sie das marae verlassen hatte, griff sie Hilfe suchend nach dem hei-tiki , einem Anhänger aus Pounamu-Jade,
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