Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
den Te Ronga ihr geschenkt hatte. Es war das Einzige, was sie mitnahm, das einzige Andenken, das sie jemals an Te Ronga haben würde. Nun, immerhin mehr, als sie zum Gedenken an Linda Hempelmann besaß. Cat kniete nieder, als sie den Fluss erreichte, und wusch sich die Tränen vom Gesicht. Was sollte sie jetzt nur tun? Sie würde dem Fluss nach Nelson folgen müssen. Aber dann?
»Poti?«
Cat schreckte auf, als sie Christophers Stimme hörte. »Chris? Was machst du hier? Du solltest schon auf dem Weg nach Nelson sein!«
Sie war erschrocken und besorgt, jedoch auch erleichtert. Wie es aussah, würde sie den Weg nach Nelson wenigstens nicht allein gehen müssen.
Chris schob sich aus dem Schatten eines Farns. »Ich konnte nicht … ich musste sehen, was sie mit Wakefield tun. Und dann musste ich wissen, was mit dir geschieht. Ich konnte doch nicht einfach zulassen, dass sie dich …«
Cat lachte bitter. »Was hättest du denn tun können? Und wie konntest du uns überhaupt folgen? Das marae ist umzäunt …«
Der Gedanke, er hätte sich womöglich noch einmal hineingeschlichen, nur um ihr nahe zu sein, ließ sie vor Angst erbeben, aber auch ein seltsam freudiges Gefühl machte sich in ihr breit.
»Ich bin auf einen Baum geklettert, einen Kahikatea – seine Zweige ragen über die Umgrenzung. Poti, es tut mir so leid! Sie haben dich aus dem Stamm ausgeschlossen, nicht wahr?« Chris blickte sie mitleidig an. »Ich konnte die Worte nicht hören, aber …«
»Sie können niemanden ausschließen, der niemals zu ihnen gehört hat«, sagte die junge Frau bitter. »Und dass dies so ist, haben sie mir deutlich zu verstehen gegeben. Ich habe wohl eine Lüge gelebt … sechs Jahre lang.« Sie riss das Stirnband aus ihrem Haar, das daraufhin über ihre Schultern floss wie ein goldgelber Strom. »Aber komm jetzt, nicht auszudenken, dass sie dich hier finden.«
Cat strich ihr Haar zurück und wandte sich einem schmalen, im Uferdickicht kaum sichtbaren Pfad durch den Wald zu. Chris folgte ihr.
»Also bist du wirklich pakeha? «, fragte er, als sie einige Zeit schweigend gelaufen waren und das Dorf sicher hinter ihnen lag.
Cat führte Chris am Fluss entlang, aber doch in so weitem Abstand vom Wairau und über so versteckte Pfade, dass sie weder vom Fluss aus zu sehen waren noch Spähern der Ngati Toa über den Weg laufen würden. Sie kannte sich hier aus, sie war unzählige Male über diese Wege mit Te Ronga gewandert. Mitunter berührte sie einen Baum oder einen Strauch, als könnte sie Trost daraus schöpfen.
Zunächst antwortete Cat nicht auf Chris ’ Frage. Erst nach einer Weile vernahm er ihre müde Stimme. »Ich bin gar nichts …«
Chris hielt sie an, drehte sie zu sich herum und legte ihr die Hände auf die Schultern. »Das stimmt nicht. Du bist wunderschön – und du bist tohunga , du bist klug. Du warst Te Rongas Tochter. Du bist meine Lebensretterin. Und nun sag mir deinen richtigen Namen!«
»Ich habe keinen Namen«, sagte sie verstockt.
»Aber du musst doch mal bei den pakeha gelebt haben!«, beharrte Chris. »Du sprichst fließend Englisch. Irgendwie muss man dich genannt haben. Und es wäre sehr viel einfacher, wenn ich dich in Nelson unter deinem englischen Namen vorstellen könnte. Gerade jetzt. Man wird auf die Maori nicht gut zu sprechen sein. Wie soll ich dich nennen, pakeha-tohunga? «
Er lächelte aufmunternd – und ertappte sich dabei, dass er sich wünschte, selbst einen Namen für sie zu finden. Es musste der Name einer Blüte sein, einer zarten, verletzlichen Blüte, die letztlich den Keim des Lebens in sich trug. Rata vielleicht – ein rot blühendes Gewächs, das auch nicht so recht wusste, was es war, und sich zunächst von anderen Pflanzen ernährte. Auf magerem Boden wuchs es sich zu einem Busch aus, der jedem Sturm trotzte, manchmal auch zu einem gewaltigen, starken und wunderschönen Baum. So unzerstörbar, dass man ihn Eisenholz nannte.
Die junge Frau schien sich jetzt zu einer Antwort durchzuringen.
»Cat«, sagte sie nach einer Weile unglücklich. »Nenn mich einfach Cat.«
KAPITEL 6
Die demoralisierten Flüchtlinge auf der Victoria erreichten Nelson spät in der Nacht. Die Reise auf dem Fluss verbrachten sie weitgehend schweigend, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach, durchlebte vielleicht noch einmal den Schrecken der Flucht und dankte seinem Gott dafür, davongekommen zu sein.
Karl blieb bei Tuckett. Er fragte bei der Mannschaft nach ein paar Decken, und der
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