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Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Titel: Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Menez
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Jagdgefährten, die Maramir aus dem Winterlager kannte. Sie kamen, um ihre Sippe zu begrüßen; andere kamen, um zu gaffen. An den finsteren Mienen und bohrenden Blicken erkannte Maramir sofort die Verachtung, die man ihr und ihren Schwestern entgegenbrachte. Aber niemand, nicht einmal eines der Kinder, warf einen Stein oder trat ihnen zu nahe. Da wurde ihr klar, daß sie unter dem Schutz von Bärenprankes Bruder und dessen Familie standen; und sie dankte den Ahnen dafür. Vergeblich versuchte sie Bärenpranke unter den Anwesenden auszumachen. Stattdessen entdeckte sie Schwarzlocke. Er sah ihr direkt in die Augen und schnitt eine hinterhältig grinsende Grimasse. Maramir glaubte zu ahnen, was er in diesem Moment dachte. Da Bärenpranke nicht bei ihnen war, vermutete Schwarzlocke wohl, daß seinem Rivalen etwas zugestoßen sei. Er durfte annehmen, daß Bärenpranke nicht mehr lebte, und das ärgerte Maramir insgeheim so sehr, daß sie die Hitze der Zornesröte deutlich fühlte, als ihr diese ins Gesicht stieg. Doch ihr Groll verflog schon im nächsten Augenblick, als ihr klar wurde, wie recht er damit haben könnte. Das grinsende Spitzgesicht flößte ihr mit einem Mal Angst ein. Was, dachte sie, wenn er mehr wußte, als sie zu ahnen vermochte ...
     
    Das Heiligtum der Spitzgesichter war ein kleiner felsiger Hügel, in dem sich auf gleicher Höhe zwei etwas auseinander liegende Höhleneingänge befanden, die in eine verbotene Zone führten. Davor standen oder saßen Männer in kleinen Gruppen zusammen, unterhielten sich rege und tauschhandelten. Auch unter den Frauen wurde viel geredet; Maramir bekam zumindest soviel mit, daß es Tote zu beklagen gab. In einer Nische und auf einem kleinen Vorsprung des Felsens, neben einem der Eingänge, hatte man zwei Totenschädel aufgebahrt und mit Ketten aus kleinen Knochen und Schneckenschalen geschmückt. Dabei handelte es sich wahrscheinlich um die Häupter der Verstorbenen, die es zu betrauern galt. Ein Schädel stammte von einem Neugeborenen und der andere war der eines jungen Mannes oder einer Frau. Die leeren Augenhöhlen wiesen in Richtung eines großen, mit Knochen gespickten Holzstapels, den die Spitzgesichter auf dem freien Platz vor der Höhle aufgeschichtet hatten. - Und noch immer trug man mehr Brennholz zusammen. Die starke Gemeinschaft dieses Volkes beeindruckte Maramir. Diese Menschen verband an diesem Tag eine bewundernswerte Zusammengehörigkeit, die Zeit und Entfernung standhielt, ganz egal, was ihnen zwischendurch widerfahren war. Ausnahmslos alle, selbst Kranke und Alte, waren gekommen und folgten damit einem ganz besonderen Ruf. Sogar die spürbare Verstimmung in der gespaltenen Gemeinschaft verlor an Gewicht im Schatten dieser ehrwürdigen, unbekannten Macht. Der Himmel verfärbte sich von Gelb in Orange, und Bärenpranke war noch immer nicht zu ihnen gestoßen. Die neugierigen und zürnenden Blicke, die auf den Schwestern lasteten, wurden immer zudringlicher. Tochter des Bären hatte ihnen einen Platz in ihrer Nähe zugewiesen und damit allen Anwesenden deutlich gemacht, daß sich alle drei sowohl unter ihrer als auch der Obhut der Großfamilie befanden.
    Als Tochter des Bären sich mühsam erhob, lenkte sie damit die Aufmerksamkeit des ganzen Stammes auf sich. Sie gab Kar ein Zeichen, woraufhin Kar sich erhob.
    Es waren nur ein paar Schritte bis zu der Feuerstelle, über der in einem Tiermagen Wasser mit beigemischtem Fett und Knochenmark kochte. Aber diese paar Schritte kamen Kar so beschwerlich vor, daß sie fürchtete, jeden Augenblick zu stolpern. Sie neigte demütig ihr Haupt und vermied jeglichen Augenkontakt. Mit aller Macht versuchte sie, die Schleier ihrer trüben Gedanken zu verbannen. Ein Raunen ging durch die Menge, und einige erboste Stimmen waren zu hören. Endlich konnte sie ihren kleinen, ledernen Beutel öffnen und in die Brühe eine Mischung aus getrockneten Pilzen und Kräutern geben. Laut und deutlich begann Tochter des Bären nun zu sprechen. Sie verkündete, daß Maramir und Leinocka Bärenprankes Frauen seien, und die Alte verbarg nicht den Stolz, den sie dabei empfand, da neues Leben in den jungen Frauen heranwuchs. Sie entblößte die Leiber der Mädchen bis über die angeschwollenen Bäuche, damit sich alle mit eigenen Augen davon überzeugen konnten. Tochter des Bären verkündete außerdem, daß Kar eine heilige Frau der Plattgesichter sei, eine Medizinfrau – und daß der große Bär sie anerkannte, indem er ein Dankopfer

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