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Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Titel: Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Menez
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Erfahrung gesammelt hatte, keinen Gegner mehr zu fürchten brauchte. - Zu offensichtlich begehrte Schwarzlocke Bärenprankes Stand. - Ein Kampf wäre alsbald unvermeidlich. Solange sie, die Tochter des Mächtigen Bären, noch unter ihnen weilte, konnte sie dies verhindern. Doch ihre Zeit lief ab. Sie brauchte eine Nachfolgerin, die das geheime Wissen weitertrug und ihre Stellung im Stamm einnehmen konnte. Eine Nachfolgerin, die selbst Scharfe Zunge zu fürchten lernen würde!
    Dennoch fragte sie sich, ob es richtig war, Kar ohne einen echten Beweis des Vertrauens das geheime Wissen zu lehren und die geheimsten Dinge preiszugeben.
     
    Als sie gegen Mittag an einen Abgrund kamen, gebot Tochter des Bären Stille. - Maramir blickte hinunter und sah die Felswand hinab, die steil auf einen Geröllhang traf, der sich bis in ein licht bewaldetes Tal zog; ein sanft ansteigendes Tal umgeben von Hügeln. Das also war der heilige Ort der Spitzgesichter, ihr Tal der Ahnen, jener Ort, der den Seelen der Spitzgesichter nach dem Tod ein Zuhause bot. - Das schienen die Spitzgesichter zumindest zu glauben. Aber sie sahen nicht die Wirklichkeit, wußten nicht, daß es unmöglich war. Und jene Gewißheit stimmte Maramir traurig; die Gewißheit, daß Bärenpranke und seinesgleichen wegen ihrer Art der Bestattung dort niemals ankamen.
    Schneller Läufer kletterte mit Bündeln angetrockneten Fleisches, die er den ganzen Weg über mit sich getragen hatte, bis zu einem Felsvorsprung hinab und legte sie dort nieder. Dann brüllte er mit der ganzen Kraft seiner tiefsten Stimme, als besäße er die Seele eines Bären. Anschließend kletterte er hastig wieder hinauf, während Bärenpranke in rituellem Rhythmus ein höheres Wesen anrief.
    Die gespannte Haltung der Menschen um sie herum, die merkwürdigen Blicke, die erwartungsvoll über den Abgrund sahen – Maramir konnte diese Neugier nicht teilen. Sie fragte sich stattdessen, was sich Bärenpranke und die anderen davon versprachen, auf etwas zu warten, das gar nicht existieren konnte. Wie sollten die Ahnen der Spitzgesichter Gestalt annehmen, wenn die Lebenden ihre Seele nicht freigaben? - Die Geister ihrer Toten befanden sich auf einem Irrpfad, der irgendwo in der Fremde endete. Die Seelen der Kinder des Bären waren wie welkes Laub, das dem Wind folgt. - Ihr stockte der Atem, als sie mit eigenen Augen sah, daß sie sich gründlich darin geirrt hatte. Ein Bär, größer und mächtiger als sie jemals zuvor einen gesehen hatte, tauchte zwischen den schroffen Felsen auf und stellte sich warnend, voller Stolz auf die Hinterbeine. Sein Gebrüll hallte im Tal wider und zerriß die Stille und die flimmernde Hitze beinahe wie ein Donner. Die Alten hatten von solchen Riesen erzählt.
    Plötzlich sprang Bärenpranke auf einen Felsvorsprung, der weiter unten lag, - gelangte mit einem Satz auf einen Felsen daneben und landete nach einem gewagten Sprung auf einer Gesteinsnase, in der Nähe der Opfergabe. Breitbeinig stellte er sich auf und wartete mit aufgestellter Lanze. Mit beiden Vorderbeinen stieß der Bär wiederholt auf einen Felsbrocken am Fuß der Steilwand, so, als wolle er diesen unter seinen Pranken zermalmen. Mit seiner massigen Gestalt erklomm er darauf ungelenk den Felsvorsprung, auf dem Schneller Läufer die Opfergabe abgelegt hatte. - Bis auf eine Körperlänge kam er dabei an Bärenpranke heran, ein zu steiler Abschnitt voller Geröll lag noch zwischen ihnen. Mit weit aufgerissenem Maul zeigte der Bär seine Zähne und schlug unter lautem Gebrüll ein paar Mal mit der Pranke ins Leere. Er gebärdete sich drohend, dennoch gab es Momente der Annäherung, Momente, in denen sie einander einfach nur ansahen und ihre Seelen miteinander sprachen. - Und dann blieb es mit einem Mal still. Der Koloss wandte sich ab und roch an dem Fleisch, das neben ihm lag. Er sah noch einmal zu Bärenpranke hinüber und dann begann er zu fressen. Das Echo vom Jubelgeschrei der Spitzgesichter hallte vielfach im Tal wider. - Das also waren die Ahnen der Spitzgesichter. Maramir fuhr ein kalter Schauer über den Rücken ...
     
    Es war bereits Abend, als sie zurück ins Lager kamen. Die letze Strecke des Weges war Tochter des Bären so schwergefallen, daß die Gruppe nur langsam vorangekommen war. Obwohl ihre alten Knochen so schwach waren, daß Kar alle Mühe gehabt hatte, sie zu stützen, wollte sie sich nicht tragen lassen.
    Jetzt, da sie endlich das Lager erreicht hatten, setzte sich die Alte vor ihre Hütte und

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