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Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Titel: Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Menez
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auf diese Weise zu bestatten. Ihren Leichnam äußerlich weitgehend unversehrt in der Höhle der Großen Mutter beizusetzen, ermöglichte ihrem Geist zurückzukehren; die Seele besaß noch immer einen Körper. - Kars Worte waren ihm klug erschienen. Sie hatte ihm erklärt, er handle zum Wohl des Stammes. - Auch die Zeichen standen gut, der Mächtige Bär selbst schenkte ihnen in dieser Nacht sein Licht! Dennoch machte ihn die Heimlichkeit nervös ... und irgendetwas Unbestimmtes machte ihm Angst ...
    Als die Grube ausgehoben war und sie den Leichnam in gekrümmter Stellung, mit angewinkelten Armen und Beinen, auf der Seite liegend hineingebettet hatten, verließ Schneller Läufer die Höhle. Das Grab sollte vor aasfressenden Tieren geschützt sein und mußte mit Steinen abgedeckt werden. Bruchgestein am Fuß des Höhlenfelsen und herumliegendes Geröll mußten gesammelt und herangeschleppt werden. Kar blieb zurück, um die Grube samt Leichnam mit Erde zu bedecken, damit die zusammengetragenen Steine darüber angehäuft werden konnten. Das war der Augenblick, auf den sie gewartet hatte: Kaum daß Schneller Läufer die Höhle verlassen hatte, drehte sie den leblosen Körper eilig auf den Bauch, holte die ledernen Bänder, die sie extra zu diesem Zweck mitgebracht hatte, unter ihrem Fellgewand hervor und band dem Leichnam hastig, in einer geradezu verachtenden, erbärmlichen Weise, Hände und Füße auf dem Rücken zusammen. Die Fesseln zog sie so fest zu wie sie nur konnte. Erst jetzt schüttete sie die Leiche, in dieser unwürdigen Stellung, eilends mit Erde zu. - Tochter des Bären würde nun nicht mehr von den Toten auferstehen und sie aufsuchen können!
    Die ersten Steine, die Schneller Läufer brachte, sollte er am Höhleneingang ablegen; von dort aus trug Kar sie hinein. Sorgfältig bedeckte sie damit das Grab, um alle Auffälligkeiten zu verbergen. Anschließend sammelte sie gemeinsam mit Schneller Läufer soviele Steine, daß Tochter des Bärens Grab letztendlich mehr als drei Handbreit hoch damit bedeckt war. - Ohne zu verweilen, machten sie sich auf den Rückweg. Sie liefen so schnell sie konnten. - Unterdessen schien sich etwas zu regen in den dunklen Schatten von Bäumen und Felsen; Geister aus dem Totenreich schlichen umher, schienen sie zu verfolgen. Ihr schändliches Vergehen war den Augen der Toten nicht verborgen geblieben. Sie flohen vor säuselnden Stimmen, die sie zu hören glaubten und rannten so schnell ihre Füße sie trugen. Schneller Läufer fürchtete seinen eigenen Gedanken. Er fühlte sich so elend wie nie zuvor in seinem Leben.
    Als Kar und Schneller Läufer das Lager endlich erreichten, wähnten sie sich in Sicherheit. Umgeben von den Lebenden würde ihnen das Licht der brennenden Feuer Schutz bieten vor der Dunkelheit toter Seelen. Maramir und Leinocka zitterten am ganzen Körper. Sorge und Angst hatten ihnen so sehr zugesetzt, daß sie aussahen, als wären sie um Jahre gealtert. - Die Droge zeigte noch Wirkung; niemand schien ihr Verschwinden bemerkt zu haben. Aber Kars Trank besaß eine böse Seele, die unverhohlen ihr häßliches Gesicht zeigte: Männer und Frauen kauerten elend zwischen den Feuern. Es roch nach Kot und Erbrochenem. Einige jammerten im Schlaf. Manche lagen da, als wären sie tot, Speichel lief aus ihren Mündern. Andere, die nicht schliefen, glaubten wohl zu singen und zu tanzen; tatsächlich konnten sie sich nicht einmal auf den Beinen halten – es klang, als ob sie weinten. Selbst Bärenpranke, der Stärkste von ihnen, schaffte es nicht aufzustehen, so sehr er sich auch darum bemühte; er war so hilflos wie ein kleines Kind. Dieses erbärmliche Bild bohrte sich schmerzend in Schneller Läufers Kopf. Während die Schwestern und Leinocka versuchten zu helfen so gut es ging, verließ er den Platz. Ein Stück von ihnen entfernt, ließ er sich kraftlos zu Boden sinken und starrte ins Leere. Er begriff nun, was er getan hatte: Es war eine Bestattung in Unehren gewesen. Niemand hatte die Mächte angerufen und diese darum gebeten, die Seele von Tochter des Bären anzunehmen. Niemand hatte die Tote mit Tanz und Gesang auf ehrenvolle Weise hinüber in das Land der Verstorbenen geleitet. Stattdessen ließen sie Tochter des Bären allein in der Dunkelheit zurück ... Von nun an mußten sie die Geister der Toten und den unermeßlichen Zorn des Mächtigen Bären fürchten!
    Kars Stimme drang plötzlich an sein Ohr: „Es geht vorbei! - Die Wirkung des Trankes lässt allmählich

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