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Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Titel: Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Menez
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mußte sich den Geistern der Toten stellen und auf die Großen Mächte vertrauen, die entweder den Tod oder aber neue Hoffnung für sie bereit hielten. - Kar hatte sich entschieden zu gehen, obwohl sie wußte, daß sie vielleicht nicht mehr zurückkehren würde.
    Es war eine mondlose Nacht, kein Stern funkelte am Himmel. Dunkelheit um sie herum; Nacht war in ihrem Kopf und düster waren ihre Gedanken. So verschmolz Kar mit der Finsternis, die sie umgab, auf dem Weg zum Grab von Tochter des Bären. - Dort angelangt, wurde sie eins mit der Großen Mutter, vor deren Leibesöffnung sie sich setzte, ihre Beine verschränkte und in das alles verschluckende tiefe Schwarz der Höhlenöffnung starrte. Sie fühlte sich wie einer der Bäume in ihrer Nähe oder wie einer der Felsen, die aus dem Hügel ragten, auf dem sie sich befand. Die Angst vor diesem Ort, an dem der Leichnam von Tochter des Bären gefesselt begraben lag, verging, als sie begriff, daß nichts geschah. Es herrschte tiefe Ruhe. Dunkelheit und Stille an diesem Ort. Irgendetwas schien sie zu beschützen, und ihr wurde klar, daß sie sich nicht zu fürchten brauchte. - Dieses Wohlbefinden verschaffte ihr Erleichterung, so daß ihre Augenlider sich schlossen und sie das Bedürfnis verspürte, ihren Kopf zu senken.
     
    Als Kar die Augen aufschlug, war es bereits hell. Etwas kitzelte an ihrer Nase. Mit einer Handbewegung verjagte sie die Fliege aus ihrem Gesicht. Dann setzte sie sich auf, und ihr wurde bewußt, daß sie tief und fest geschlafen hatte. Sie rieb sich den Schlaf aus den Augen und erschrak zutiefst, als sie etwas zwischen den flachen Kräutern ganz in ihrer Nähe auf dem Vorplatz der Höhle entdeckte. Sie sprang auf und griff danach. Fast im selben Moment hörte sie, wie jemand ihren Namen rief. Kar warf ihren Kopf herum und sah in die treuen Augen von Schneller Läufer. Er stapfte auf sie zu, und seine Fäuste waren geballt. Er schien innerlich zu beben. Sein Ausdruck schwankte zwischen Zorn und Erleichterung. - Bis auch sein Gesicht kreidebleich wurde und seine Augen sich vor Entsetzen weiteten, als Kar ihm eine dunkle, lange Haarsträhne entgegenhielt ... Ein kalter Schauer kroch ihr über den Nacken, als sie die Höhle betraten, und ein Schrecken fuhr ihr durch Mark und Bein, als sich bestätigte, was sie befürchtet hatte ... Einen Moment lang standen sie wie erstarrt da, bis Kar ihre Hände vors Gesicht warf und stammelte: „Ihr Ahnen steht uns bei!“
    Im nächsten Augenblick glaubten sie draußen Schritte zu hören. - Dann herrschte Stille, unheimliche Stille ... gefolgt von einem Schnauben und Brummen. Plötzlich waren da noch andere Geräusche. Schneller Läufer horchte auf und wirkte dabei fast erleichtert. Er wagte es, einen Blick zu riskieren. Auf einen Wink von ihm traute sich auch Kar zum Höhlenausgang und sah hinaus. Ein riesiger Bär stand auf dem Vorplatz und hielt witternd seine Nase in die Luft, während seine Augen auf den Felshügel, in dem sich die Höhle befand, gerichtet waren. Zwei Bärenjunge tollten über den Platz. Die Bärin richtete sich auf und stellte sich kraftvoll auf die Hinterbeine. Kar wußte, daß diese Drohgebärde ihr und Schneller Läufer galt. Die Jungen verschwanden den Hügel hinunter zwischen den Bäumen ... ihre Mutter folgte ihnen. Eiligst verließen Kar und Schneller Läufer die Höhle und rannten den Hügel hinauf. Ständig sahen sie sich dabei um; von Sträuchern und Bäumen gedeckt hielten sie Ausschau nach der Bärin und ihren Jungen. Für einen flüchtigen Moment erspähten Kar und Schneller Läufer sie schließlich in einer Senke am Fuß des Hügels. - Kar dankte den Ahnen, die sie beschützt hatten; die ganze Zeit über: in der letzten Nacht, während sie schlief, jetzt am Tag, schon immer. Die Ahnen hatten sie niemals im Stich gelassen. Dessen war sie sich nun sicher, denn sie erkannte die Zeichen, die es jetzt zu deuten galt.
    -
     
    Zwei volle Tage waren vergangen, seitdem Kar fortgegangen war und Schneller Läufer sich aufgemacht hatte sie zu suchen. Die Sonnenstrahlen waren verblasst, und die Blätter fielen. Am Morgen hatte ein schneidender Wind geweht, und mit dem Wind kam Regen. Den Himmel färbte ein lückenloses Dunkelgrau. - Endlich kehrten die Jäger zurück. Sie wirkten niedergeschlagen. Der Sohn von Scharfe Schneide, Spricht die Sprache der Tiere, der wie kein anderer durch Rufe und Laute Beute anlocken konnte, war verletzt. Sein Arm war von der Beuge bis zu den Fingerspitzen

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