Die Zeit der Hundert Königreiche - 4
breiten Riß in den Wolken die große rote Sonne auf und übergoß das Tal mit Licht. Paul blickte zum Himmel empor. Ohne Regen war es besser zu kämpfen, aber der Boden war noch naß, und die Pferde konnten beim Angriff ausrutschen. Meister Gareth hatte seine kleine Armee von graugewandeten Zauberern auf einer Seite zusammengezogen, damit sie bei der Attacke aus dem Weg waren. Als Paul das erste Mal in die Schlacht geritten war, hatte er um Melisandra Angst gehabt. Jetzt wußte er, daß sie bei einem Kampf wie diesem nicht in körperlicher Gefahr war. Selbst unter dem verhüllenden grauen Mantel konnte er Melisandra an der Art, wie sie zu Pferde saß, von den anderen unterscheiden.
Bard zog sein Schwert - dann hörte Paul ihn aufschreien und sah ihn mit dem Schwert in die leere Luft schlagen. Was sieht er da, in Gottes Namen? Und alle Männer, die in seiner Nähe ritten, benahmen sich ebenso. Sie fuhrwerkten in der Luft herum, sie schrien, sie hoben die Arme, um ihre Augen vor irgendeiner unsichtbaren Bedrohung zu schützen. Selbst die Pferde bäumten sich auf und wieherten verzweifelt. Paul sah nichts, roch nichts, auch dann nichts, als einer der Männer rief: »Feuer! Seht dort … !«, vom Pferd stürzte und sich brüllend wegrollte. Und plötzlich, als er Bards Blick auffing, sah er in Kontakt mit seinem Zwilling, was Bard sah: Über ihren Köpfen kreisten seltsame, kreischende Vögel, fuhren bösartig auf die Augen nieder, verpesteten alles mit ihrem faulen Atem, so daß die Pferde davor scheuten. Und das Gräßlichste war, daß die Vögel die Gesichter von Frauen hatten, verzerrt zu lüsternem Grinsen …
Paul sah dies durch Bards Augen. Und mit seinen eigenen Augen sah er … Das Tal lag im Sonnenglanz vor ihnen, und die Serrais-Armee bewegte sich schnell zum Gegenangriff auf sie zu. Paul hob sich in den Steigbügeln. Sein eigenes Schwert blitzte auf.
Er brüllte mit Bards Stimme: »Es ist nichts da, Männer! Es ist eine Illusion. Zum Teufel, was machen die Leroni? Vorwärts - Attacke!« Bards schnelle Reaktion auf diese Worte zeigte ihm, wie recht er gehabt hatte. Auch er rief: »Attacke!« und ritt an der Spitze seiner Leute durch die Illusion. Paul sah mit Bards Augen die widerwärtigen Harpyien, die sich auf ihn stürzten. Er fühlte, daß Bard sich duckte, obwohl er wußte, daß es eine Illusion war. Er roch den Gestank der Vogelfrauen, aber das lähmende Entsetzen war gebrochen. Paul hatte sein eigenes Bewußtsein zurückgewonnen und donnerte, das Schwert in der Faust, auf die erste Reihe der näher kommenden Serrais-Armee los. Ein Mann führte einen Streich nach oben gegen sein Pferd. Er schlug zu und sah den Mann fallen. Und dann war er im Nahkampf und hatte nicht den kleinsten Augenblick für magische Schrecken oder für einen Blick durch Bards Augen übrig. Es interessierte ihn nicht mehr, was Bard sehen mochte, ob es nun wirklich da war oder ein Produkt der Zauberei oder der Laran Wissenschaft.
Trotz allem hatten sie die Serrais-Armee immer noch in gewissem Grad überrumpelt, denn dort hatte man sich zu sehr darauf verlassen, daß die Zauberer den Angriff aufhalten würden. Die Schlacht war nicht kurz, aber sie dauerte auch nicht so lange, wie Paul, der Bard half, die gegen sie aufgebotene Streitmacht abzuschätzen, geglaubt hatte. Bard kam wie durch ein Wunder unverletzt davon. Ein Wunder schien es Paul, weil er während des ganzen Kampfes, wohin er auch blickte, Bard mitten im dicksten Getümmel erkannt hatte. Paul selbst hatte einen Schwertstreich gegen das Bein erhalten, der seinen Hosen mehr Schaden zufügte als etwas anderem. Als die demoralisierte Serrais-Armee floh und Dom Eiric sich auslieferte Bard hängte ihn auf der Stelle als Eidbrecher -, ging die Sonne unter. Pauls Bein fror unter den flatternden Überresten seiner ledernen Breeches. Er ritt mit den Adjutanten in das nahe gelegene Dorf und half ihnen, eins der Häuser als Hauptquartier einzurichten. Die Männer waren drauf und dran, zu plündern und zu vergewaltigen und dann das Dorf niederzubrennen, aber Bard gebot ihnen Einhalt.
»Die Leute sind Untertanen meines Bruders. Sie haben rebelliert, das ist wahr, aber trotzdem sind sie unsere Untertanen. Sie mögen dazu gezwungen worden sein, die Serrais-Armee zu unterstützen. Deshalb sollen sie eine Chance bekommen, uns zu zeigen, ob sie ihrem König treu sind, wenn sie frei handeln können und kein Messer an der Kehle haben. Es wird jedem Mann in dieser Armee schlecht ergehen, der
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