Die Zeit der Hundert Königreiche - 4
das als eine Pflicht gegenüber deinem Gatten an, als einen Weg, dir seine Liebe und Aufmerksamkeit zu erhalten?«
»Beides.« Vergebens wischte sich die Frau die Tränen mit dem Rand ihres Schleiers fort. Carlina hatte genug Laran, um die Wahrheit in den Worten der weinenden Frau zu erkennen. »Ich sagte ihm, ich würde alle seine Söhne von irgendeiner Frau seiner Wahl annehmen. Wir haben das Baby seiner Schwester in Pflege, und ich habe festgestellt, daß ich kleine Kinder liebe … Ich sehe die anderen Frauen mit Kindern an der Brust, und ich wünsche mir ein eigenes, oh, wie wünsche ich es mir! Ihr, die ihr Keuschheit gelobt habt, könnt nicht wissen, wie es ist, wenn man andere Frauen mit Kindern sieht und weiß, man wird niemals ein eigenes haben. Ich habe mein Pflegekind, das ich lieben kann, aber ich möchte selbst eins gebären, und ich möchte bei Mikhail bleiben … «
Carlina dachte einen Augenblick nach, dann sagte sie: »Ich werde sehen, was ich tun kann, um dir zu helfen.« Sie hieß die Frau, sich auf einen langen Tisch zu legen. Die Frau sah sie furchtsam an, und Carlina, die immer noch auf sie eingestimmt war, erkannte, daß sie unter den schmerzhaften Untersuchungen von Hebammen gelitten hatte, die versucht hatten, ihr zu helfen.
»Ich werde dir nicht weh tun«, versprach Carlina, »ich werde dich nicht einmal berühren. Aber du mußt ganz still sein und ruhig liegenbleiben, sonst kann ich nichts tun.« Sie nahm ihren Sternenstein vom Hals, ließ ihr Bewußtsein tief in den Körper der Frau einsinken und fand nach einiger Zeit die Blockierung, die eine Empfängnis verhinderte. Sie stieg hinab in Nerven und Gewebe und löste den Knoten beinahe Zelle um Zelle auf.
Sie bedeutete der Frau, sich aufzusetzen.
»Ich kann nichts versprechen«, sagte sie, »aber es gibt jetzt keinen Grund mehr, warum du kein Kind empfangen solltest. Du sagst, dein Mann habe mit anderen Frauen Kinder gezeugt? Dann solltest du in Jahresfrist dein eigenes haben.« Die Frau strömte über von Dankesbeteuerungen, doch Carlina unterbrach sie.
»Danke nicht mir, sondern der Mutter Avarra, und wenn du eine alte Frau bist, sprich niemals grausame Worte zu einer unfruchtbaren Frau noch bestrafe sie für ihre Unfruchtbarkeit. Es braucht nicht ihre Schuld zu sein.«
Als sie die Frau gehen sah, war Carlina froh, daß sie einen körperlichen Schaden gefunden hatte. Wenn sich nichts entdecken ließ, war anzunehmen, daß die Frau eigentlich keine Kinder wollte und mit Laran-Kräften, von denen sie nicht wußte, daß sie sie besaß, eine Empfängnis verhinderte, oder daß der Mann der Frau steril war. Wenige Frauen - und noch weniger Männer - vermochten sich vorzustellen, daß ein viriler Mann steril sein konnte. Ein paar Generationen zuvor, als eine Heirat eine Gruppenangelegenheit war und es als selbstverständlich galt, daß eine Frau Kinder von verschiedenen Männern bekam, war es einfach gewesen. Eine scheue oder gehemmte Frau brauchte man nur zu ermutigen, sich -vielleicht bei einem Fest - außer ihrem Ehemann auch zwei oder drei anderen Männern hinzugeben, und dann glaubte die Frau fest daran, Vater des Kindes sei der, den sie erwählt habe. Aber jetzt, wo die Vererbung von Besitztum so fest mit der offiziellen Vaterschaft verknüpft war, hatte Carlina leider keine andere Wahl, als einer Frau zu raten, sich mit ihrer Unfruchtbarkeit abzufinden oder sich einen Liebhaber zu nehmen und den Zorn ihres Mannes zu riskieren. Die alte Methode, dachte sie, war vernünftiger gewesen.
Auch die zweite Frau hatte ein Problem, das mit dem Kinderkriegen zusammenhing. Das wunderte Carlina nicht, denn an die Göttin wandten sich Frauen für gewöhnlich in solchen Fällen.
»Wir haben drei Töchter, aber alle unsere Söhne starben bis auf den jüngsten«, berichtete die Frau, »und mein Mann ist böse auf mich, weil ich seit fünf Jahren kein Kind mehr bekommen habe, und er nennt mich wertlos …«
Die alte Geschichte, dachte Carlina und fragte: »Sag mir, wünschst du dir wirklich noch ein Kind?«
»Wenn mein Mann sich zufriedengäbe, täte ich es auch«, antwortete die Frau zitternd. »Denn ich habe acht Kinder geboren, von denen vier noch leben, und unser Sohn ist gesund und kräftig und bereits sechs Jahre alt. Und unsere älteste Tochter ist bereits alt genug ,um Heiraten. Aber ich halte es nicht aus, daß er mir zürnt … «
Carlina erklärte ernst: »Du mußt ihm sagen, daß es der Wille Avarras ist, und er muß ihr dankbar sein, daß euch
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