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Die Zeit der Verachtung

Die Zeit der Verachtung

Titel: Die Zeit der Verachtung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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sofort, wer es war. Er hatte dieses feingliedrige, aschblonde Mädchen noch nie gesehen. Doch er hatte sie augenblicklich erkannt.
    »Geralt  ...«, sagte das Mädchen leise. »Frau Yennefer  ... Entschuldige  ... Ich musste. Du weißt doch  ...«
    »Ciri«, sagte der Hexer. Yennefer tat einen Schritt auf das Mädchen zu, blieb dann aber stehen. Sie schwieg.
    Zu wem wird sie gehen, dachte Rittersporn. Keiner der beiden, weder der Hexer noch die Zauberin, machten einen Schritt oder eine Geste. Zu wem wird sie zuerst gehen? Zu ihm? Oder zu ihr?
    Ciri ging zu keinem von beiden. Ihr blieb keine Wahl. Denn sie wurde ohnmächtig.
     
    Das Haus war leer, der Halbling und seine ganze Familie waren bei Tagesanbruch an die Arbeit gegangen. Ciri stellte sich schlafend, hörte aber, wie Geralt und Yennefer hinausgingen. Sie glitt aus dem Bett, zog sich rasch an, schlich sich aus der Stube und folgte den beiden zum Garten.
    Geralt und Yennefer bogen auf einen Damm zwischen den Teichen ab, die weiß waren von Seerosen und gelblich von Mummeln. Ciri verbarg sich hinter einer halb eingefallenen Mauer und beobachtete die beiden durch einen Spalt. Sie glaubte, dieser Rittersporn, der berühmte Dichter, schlafe noch. Doch sie irrte sich. Der Dichter Rittersporn schlief nicht. Und er ertappte sie auf frischer Tat.
    »He«, sagte er, während er lässig und kichernd herankam. »Gehört sich das, zu lauschen und heimlich zu beobachten? Mehr Diskretion, Kleine. Lass sie ein wenig miteinander allein sein.«
    Ciri wurde rot, presste aber sogleich die Lippen zusammen. »Erstens bin ich nicht klein«, zischte sie trotzig. »Und zweitens, ich störe sie doch wohl nicht, oder?«
    Rittersporn wurde etwas ernster. »Wahrscheinlich nicht«, sagte er. »Mir scheint sogar, dass du ihnen hilfst.«
    »Ich? Wobei?«
    »Stell dich nicht dumm. Gestern, das war schlau. Aber mich hast du nicht täuschen können. Du hast die Ohnmacht gespielt, stimmt’s?«
    »Stimmt«, murmelte sie und wandte das Gesicht ab. »Frau Yennefer hat es gemerkt, aber Geralt nicht  ...«
    »Beide haben dich ins Haus getragen. Ihre Hände haben sich berührt. Sie haben fast bis zum Morgen an deinem Bett gesessen, einander aber kein Wort gesagt. Erst jetzt haben sie sich entschlossen, miteinander zu reden. Dort auf dem Damm, bei den Teichen. Und du hast beschlossen zu lauschen, worüber sie reden  ... Und sie durch ein Loch in der Mauer zu beobachten. So dringlich musst du wissen, was sie dort tun?«
    »Nichts tun sie.« Ciri errötete ein wenig. »Sie reden ein bisschen, das ist alles.«
    »Und du« – Rittersporn setzte sich bei einem Apfelbaum ins Gras und lehnte sich mit dem Rücken an den Stamm, nachdem er sich vergewissert hatte, dass es darauf weder Ameisen noch Raupen gab –, »du wüsstest gern, worüber sie reden, nicht wahr?«
    »Ja  ... Nein! Und überhaupt  ... Und überhaupt höre ich sowieso nichts. Sie sind zu weit weg.«
    Der Barde lächelte. »Wenn du willst, sage ich es dir.«
    »Und woher willst du das wissen?«
    »Ha ha. Ich, liebe Ciri, bin ein Dichter. Dichter wissen von solchen Dingen alles. Ich sag dir eins: Dichter wissen von solchen Dingen mehr als die beteiligten Personen.«
    »Von wegen!«
    »Ich gebe dir mein Wort. Das Wort eines Dichters.«
    »So? Na dann  ... Na dann sag, worüber reden sie? Erklär mir, was das alles bedeutet!«
    »Schau noch mal durch das Loch und sieh nach, was sie tun.«
    »Hmm  ...« Ciri biss sich auf die Unterlippe, dann bückte sie sich und brachte ein Auge an den Mauerspalt. »Frau Yennefer steht bei einer Weide  ... Sie reißt Blätter ab und spielt mit ihrem Stern  ... Sie sagt nichts und schaut Geralt überhaupt nicht an  ... Und Geralt steht neben ihr. Mit gesenktem Kopf. Und er sagt etwas. Nein, sei still. Oh, macht der ein Gesicht  ...«
    »Kinderleicht.« Rittersporn fand im Gras einen Apfel, wischte ihn an der Hose ab und beäugte ihn kritisch. »Er bittet sie gerade, dass sie ihm seine verschiedenen dummen Worte und Taten verzeiht. Er entschuldigt sich für die Ungeduld, für den Mangel an Glaube und Hoffnung, für die Voreingenommenheit, für das Schmollen und die Posen, die sich für einen Mann nicht ziemen. Er entschuldigt sich für das, was er einst nicht verstanden hat, und für das, was er nicht verstehen wollte  ...«
    »Das ist eine unmögliche Unwahrheit!« Ciri richtete sich auf und warf mit einer heftigen Bewegung die Haare aus der Stirn. »Du denkst dir das alles

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