Die Zeit der Verachtung
sogleich wurde es in dem Korridor heller.
Das erste Bild stellte ein altes Segelschiff dar, das zwischen Riffen, die aus aufgewühltem Wasser ragten, vom Sturm umhergeworfen wurde. Am Bug des Schiffes stand ein Mann in weißem Gewand, um den Kopf eine leuchtende Aureole.
»Die erste Landung«, erriet der Hexer.
»Selbstverständlich«, bestätigte Vilgefortz. »Das Schiff der Vertriebenen. Jan Bekker unterwirft die
Kraft
seinem Willen. Er beruhigt die See und beweist so, dass Magie durchaus nicht böse und destruktiv zu sein braucht, sondern Leben zu retten vermag.«
»Dieses Ereignis hat sich wirklich zugetragen?«
»Ich glaube kaum.« Der Zauberer lächelte. »Wahrscheinlicher ist, dass Bekker während der ersten Reise und Landung zusammen mit den anderen über der Reling hing und die Fische fütterte. Die
Kraft
zu beherrschen gelang ihm erst nach der Landung, die durch einen seltsamen Zufall glücklich verlief. Gehen wir weiter. Da siehst du wieder Jan Bekker, wie er das Wasser zwingt, aus dem Felsen zu sprudeln, wo die erste Siedlung errichtet wird. Und hier, bitte, vertreibt der von knienden Siedlern umringte Bekker die Wolken und verhindert einen Regenguss, um die Ernte zu retten.«
»Und das? Welches Ereignis stellt dieses Bild dar?«
»Die Erkennung der Auserwählten. Bekker und Giambattista unterziehen die Kinder der nächsten ankommenden Siedler einem magischen Test, um
Quellen
zu entdecken. Die ausgesonderten Kinder werden den Eltern fortgenommen und nach Mirthe gebracht, dem ersten Sitz der Magier. Du betrachtest gerade einen historischen Augenblick. Wie du siehst, sind alle Kinder verängstigt, nur diese kleine resolute Brünette streckt mit einem vertrauensvollen Lächeln Giambattista die Hände entgegen. Das ist die später berühmt gewordene Agnes von Glanville, die erste Frau, die Zauberin wurde. Das Weib da hinter ihr ist ihre Mutter. Irgendwie traurig.«
»Und diese Gruppenszene?«
»Die Union von Nowigrad. Bekker, Giambattista und Monck schließen die Übereinkunft mit den Herrschern, Priestern und Druiden ab. Etwas in der Art eines Nichtangriffspaktes und der Trennung von Staat und Magie. Schrecklicher Kitsch. Gehen wir weiter. Und hier sehen wir Geoffrey Monck, wie er den Pontar hinauffährt, der damals noch tevon y Pont ar Gwennelen hieß, der Fluss der Alabasterbrücken. Monck fuhr bis nach Loc Muinne, um die Elfen dort zu bewegen, eine Gruppe von Kindern aufzunehmen, die
Quellen
waren und durch Elfenmagier ausgebildet werden sollten. Es wird dich vielleicht interessieren, dass sich unter den Kindern ein Junge befand, der Gerhart von Aelle hieß. Du hast ihn vorhin kennengelernt. Jetzt nennt sich dieser Junge Hen Gedymdeith.«
»Hier« – der Hexer schaute den Zauberer an – »drängt sich Schlachtenmalerei geradezu auf. Es war ja nur ein paar Jahre nach der erfolgreichen Expedition Moncks, dass die Truppen des Marschalls Raupenneck von Dreiberg in Loc Muinne und Est Haemlet ein Gemetzel verübten und alle Elfen ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht umbrachten. Worauf der Krieg begann, der mit dem Massaker von Shaerrawedd endete.«
Abermals lächelte Vilgefortz. »Dank deinen imponierenden Geschichtskenntnissen weißt du natürlich, dass an jenen Kriegen kein einziger Zauberer von Rang teilgenommen hat. Daher hat das Thema keine einzige Adeptin inspiriert, einen entsprechenden Schinken zu malen. Gehen wir weiter.«
»Gehen wir. Hier, auf diesem Bild, was sind das für Ereignisse? Ach, ich weiß. Das ist Raffard der Weiße, wie er die verfeindeten Könige versöhnt und den Sechsjährigen Krieg beendet. Und hier haben wir Raffard, wie er die Krone ablehnt. Eine schöne, edle Geste.«
»Meinst du?« Vilgefortz hielt den Kopf schief. »Nun ja, jedenfalls hat diese Geste einen Präzedenzfall geschaffen. Raffard nahm jedoch die Stellung eines Ersten Ratgebers an und regierte de facto, denn der König war debil.«
»Die Galerie des Ruhmes ...«, murmelte der Hexer, während er ans nächste Bild herantrat. »Und was haben wir hier?«
»Den historischen Augenblick, als das erste Kapitel zusammengerufen und das
Gesetz
beschlossen wurde. Da sitzen von links: Herbert Stammelford, Aurora Henson, Ivo Richert, Agnes von Glanville, Geoffrey Monck und Radmir von Tor Carnedd. Hier wäre, wenn ich offen sein soll, als Ergänzung wiederum ein Schlachtengemälde angebracht. Denn wenig später wurden in einem brutalen Krieg diejenigen ausgerottet, die das Kapitel nicht
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