Die Zeit der Verachtung
nicht gelungen, diesen Teleport ausfindig zu machen? Das glaube ich nicht.«
»Daran tust du recht. Wir haben das Portal entdeckt, doch wir mussten es blockieren. Es gab Proteste, alle wollten drauflosexperimentieren, jeder wollte als Erforscher von Tor Zireael berühmt werden, dem mythischen Sitz der Elfenmagier und -weisen. Das Portal ist jedoch irreparabel defekt und transportiert chaotisch. Es gab Opfer, also wurde es blockiert. Gehen wir, Geralt, es wird kalt. Vorsichtig. Tritt nur auf die dunklen Platten.«
»Warum nur auf die dunklen?«
»Diese Gebäude sind verfallen. Feuchtigkeit, Erosion, die starken Winde, das Salz in der Luft, das alles ist von schädlichem Einfluss auf die Mauern. Eine Reparatur wäre zu teuer, also benutzen wir eine Illusion. Das Prestige, du verstehst.«
»Nicht ganz.«
Der Zauberer machte eine Handbewegung, und die Terrasse verschwand. Sie standen über einem Abgrund, einer Leere, in die aus der Gischt Felszacken emporragten. Auf einem schmalen Streifen von dunklen Platten standen sie, der wie ein Trapez zwischen dem Korridor in Aretusa und dem die Terrasse stützenden Pfeiler gespannt war.
Geralt hielt mit Mühe das Gleichgewicht. Wäre er ein Mensch gewesen und kein Hexer, so hätte er es nicht halten können. Doch selbst er hatte sich überraschen lassen. Seine heftige Bewegung konnte dem Zauberer nicht entgangen sein, und auch im Gesicht musste es Veränderungen gegeben haben. Der Wind zerrte auf dem schmalen Steg an ihm, der Abgrund rief ihn mit bösartigem Wellenrauschen.
»Du fürchtest den Tod«, stellte Vilgefortz lächelnd fest. »Du fürchtest ihn ja doch.«
Das Lumpenpüppchen schaute sie aus den Glasperlenaugen an.
»Er hat dich angeführt«, murmelte Yennefer und schmiegte sich an den Hexer. »Es bestand keine Gefahr, gewiss hat er sowohl dich als auch sich selbst mit einem Levitationsfeld abgesichert. Er wäre kein Wagnis eingegangen ... Was war weiter?«
»Wir gingen in einen anderen Flügel von Aretusa. Er führte mich in ein großes Zimmer, wahrscheinlich war es das Arbeitszimmer einer der Dozentinnen, vielleicht sogar der Rektrix. Wir setzten uns an einen Tisch, auf dem eine Sanduhr stand. Der Sand rieselte. Ich nahm den Geruch von Lydias Parfüm wahr, wusste, dass sie vor uns im Zimmer gewesen war ...«
»Und Vilgefortz?«
»Stellte eine Frage.«
»Warum bist du kein Zauberer geworden, Geralt? Hat dich die Kunst niemals angezogen? Sag ehrlich.«
»Ehrlich: Sie hat.«
»Warum also bist du dem Ruf nicht gefolgt?«
»Ich hielt es für angebrachter, der Stimme der Vernunft zu folgen.«
»Das heißt?«
»Die jahrelange Arbeit im Hexerberuf hat mich gelehrt, Kräfte und Absichten aneinander zu messen. Weißt du, Vilgefortz, ich kannte einmal einen Zwerg, der als Kind davon träumte, ein Elf zu werden. Was meinst du, wäre er einer geworden, wenn er dem Ruf gefolgt wäre?«
»Soll das ein Vergleich sein? Wenn ja, dann ein durchweg unpassender. Der Zwerg konnte kein Elf werden. Weil seine Mutter keine Elfe war.«
Geralt schwieg lange.
»Nun ja«, sagte er schließlich. »Ich hätte es mir denken können. Du hast ein wenig in meinem Lebenslauf herumgestochert. Kannst du mir verraten, zu welchem Zweck?«
»Vielleicht« – der Zauberer deutete ein Lächeln an – »schwebt mir ein Bild in der Galerie des Ruhmes vor? Wir beide am Tisch, und auf einem Messingschildchen die Aufschrift: ›Vilgefortz von Roggeveen schließt den Pakt mit Geralt von Riva‹.«
»Das wäre eine Allegorie«, sagte der Hexer. »Betitelt ›Das Wissen triumphiert über die Unwissenheit‹. Ich würde ein realistischeres Bild vorziehen, mit dem Titel ›Vilgefortz erklärt Geralt, worum es geht‹.«
Vilgefortz legte die Finger beider Hände in Höhe des Mundes zusammen. »Ist das nicht offensichtlich?«
»Nein.«
»Hast du es vergessen? Das Bild, das mir vorschwebt, hängt in der Galerie des Ruhmes, dort werden es künftige Generationen betrachten, die genau wissen, worum es geht, welches Ereignis dargestellt ist. Auf dem Bild verständigen sich der gemalte Vilgefortz und der gemalte Geralt und kommen zu einer Übereinkunft, in deren Ergebnis Geralt nicht irgendeinem Ruf oder einer Neigung folgt, sondern seiner wahren Berufung und endlich in die Reihen der Magier eintritt und mit seinem früheren, nicht besonders sinnvollen und perspektivlosen Dasein Schluss macht.«
»Wenn ich mir vorstelle«, sagte der Hexer nach längerem Schweigen, »dass ich noch vor
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