Die Zeit der Verachtung
ihn gesehen, sie waren damit beschäftigt, Pfeile auf bergauf laufende Menschen abzuschießen. Von Aretusa her kam Verstärkung.
Er hatte vor, Ciri die Treppe hinauf zu folgen, als er ein Rauschen hörte. Von oben her. Er wandte sich rasch um. Es war kein Vogel.
Mit den weiten Ärmeln raschelnd, kam durch ein Loch im Dach Vilgefortz geflogen, senkte sich langsam auf den Boden.
Geralt stellte sich vor den Eingang zum Turm, zog das Schwert und seufzte. Er hatte aufrichtig gehofft, der dramatische Endkampf werde sich zwischen Vilgefortz und Philippa Eilhart abspielen. Er selbst hatte zu derlei Dramatik nicht die mindeste Lust.
Vilgefortz klopfte sein Wams ab, rückte die Manschetten zurecht, schaute den Hexer an und las seine Gedanken. »Verdammte Dramatik«, seufzte er.
Geralt enthielt sich eines Kommentars.
»Sie ist in den Turm gelaufen?«
Er antwortete nicht.
Der Zauberer nickte. »Da haben wir also den Epilog«, sagte er kalt. »Das Ende, das das Werk krönt. Aber vielleicht ist das die Vorherbestimmung? Weißt du, wohin diese Stufen führen? Zum Tor Lara. Zum Möwenturm. Von dort gibt es keinen Ausgang. Alles ist zu Ende.«
Geralt wich zurück, damit seine Flanken von den Karyatiden gedeckt wurden, die den Torbogen trugen.
»Freilich«, zischte er und beobachtete dabei die Hände des Zauberers. »Alles ist zu Ende. Die Hälfte deiner Komplizen lebt nicht mehr. Die Leichen der auf die Insel geholten Elfen säumen den Weg von hier bis nach Garstang. Die übrigen sind geflohen. Von Aretusa sind Zauberer und die Leute Dijkstras im Anmarsch. Der Nilfgaarder, der Ciri ergreifen sollte, ist sicherlich schon verblutet. Und Ciri ist dort, im Turm. Es gibt von dort keinen Ausgang? Das freut mich zu hören. Also führt auch nur ein Eingang dorthin. Der, den ich versperre.«
Vilgefortz entrüstete sich. »Du bist unverbesserlich. Du bist immer noch nicht imstande, die Situation richtig einzuschätzen. Kapitel und Rat existieren nicht mehr. Kaiser Emhyrs Truppen sind auf dem Vormarsch nach Norden; ohne Rat und Hilfe der Zauberer sind die Könige hilflos wie Kinder. Unter dem Ansturm von Nilfgaard werden ihre Reiche einstürzen wie Sandburgen. Ich habe es dir gestern angeboten, und ich wiederhole heute: Schließ dich den Siegern an. Spuck auf die Verlierer.«
»Du bist der Verlierer. Für Emhyr warst du nur ein Werkzeug. Ihm ging es um Ciri, darum hat er diesen Typ mit dem Flügelhelm geschickt. Ich frage mich, was Emhyr mit dir machen wird, wenn du ihm das Scheitern der Mission meldest.«
»Du schießt ins Blaue hinein, Hexer. Und natürlich triffst du nicht. Und wenn ich dir nun sagen würde, dass Emhyr mein Werkzeug ist?«
»Würde ich es nicht glauben.«
»Geralt, sei vernünftig. Willst du wirklich Theater spielen, den Endkampf zwischen Gut und Böse? Ich erneuere das Angebot von gestern. Es ist durchaus noch nicht zu spät. Du kannst noch immer deine Wahl treffen, dich auf die richtige Seite stellen ...«
»Auf die Seite, der ich heute einiges Ungemach bereitet habe?«
»Lächle nicht, deine Art, dämonisch zu lächeln, macht auf mich keinen Eindruck. Die paar erledigten Elfen? Artaud Terranova? Kleinigkeiten, bedeutungslos. Wir können darüber hinweg zur Tagesordnung übergehen.«
»Klar doch. Ich kenne deine Weltanschauung. Der Tod zählt nicht, nicht wahr? Zumal der von anderen?«
»Sei nicht banal. Es tut mir leid um Artaud, aber was soll man machen. Sagen wir ... wir haben Rechnungen beglichen. In letzter Zeit habe ich zweimal versucht, dich umzubringen. Emhyr war ungeduldig geworden, also habe ich dir Mörder auf den Hals hetzen lassen. Jedesmal habe ich es mit echtem Widerwillen getan. Ich hoffe nämlich immer noch, dass wir eines Tages auf ein und demselben Bild gemalt werden.«
»Lass diese Hoffnung fahren, Vilgefortz.«
»Steck das Schwert weg. Lass uns zusammen in den Tor Lara gehen. Wir werden das Kind des Älteren Blutes beruhigen, das dort sicherlich vor Angst vergeht. Und wieder herauskommen. Zusammen. Du wirst bei ihr sein. Du wirst zusehen, wie sich ihre Vorherbestimmung erfüllt. Und Kaiser Emhyr? Kaiser Emhyr wird bekommen, was er wollte. Denn ich habe vergessen, dir zu sagen, dass Codringher und Fenn zwar tot sind, ihr Werk und ihre Konzeption aber fortbestehen und sich gut entwickeln.«
»Du lügst. Geh fort von hier. Ehe ich auf dich spucke.«
»Ich habe wirklich keine Lust, dich zu töten. Ich töte ungern.«
»Wirklich? Und Lydia van Bredevoort?«
Der Zauberer
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