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Die Zeit der Verachtung

Die Zeit der Verachtung

Titel: Die Zeit der Verachtung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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euer Land verwüsten, und wird es mit der Schnur verteilen. Niedergerissen werden eure Städte und entvölkert. Fledermaus, Uhu und Rabe werden in euren Häusern wohnen, die Schlange wird sich darin einnisten.
     
    Aen Ithlinnespeath

Das fünfte Kapitel
    Der Anführer des Trupps hielt sein Pferd an, nahm den Helm ab, fuhr sich mit den Fingern durch die spärlichen, schweißverklebten Haare.
    »Ende des Rittes«, wiederholte er, als er den fragenden Blick des Troubadours sah.
    »Hä? Wieso?«, wunderte sich Rittersporn. »Warum?«
    »Weiter reiten wir nicht. Seht Ihr? Das Flüsschen, das dort unten glitzert, ist das Bandwasser. Wir sollten Euch nur bis zum Bandwasser eskortieren. Also ist es Zeit, sich zu trennen.«
    Der Rest des Trupps hielt hinter ihnen an, doch keiner der Soldaten saß ab. Alle schauten sich unruhig um. Rittersporn schirmte mit der Hand die Augen ab, stellte sich in den Steigbügeln auf. »Wo siehst du diesen Fluss?«
    »Ich hab gesagt, dort unten. Reitet die Schlucht lang, da findet Ihr ihn gleich.«
    »Begleitet mich wenigstens bis zum Ufer«, protestierte Rittersporn. »Zeigt mir die Furt  ...«
    »Ach, was gibt’s da zu zeigen. Seit Mai kein Tropfen, bloß Bullenhitze, da ist das Wasser zurückgegangen, seicht ist das Bandwasser geworden. Mit dem Pferd kommt Ihr an jeder Stelle durch  ...«
    »Ich habe Eurem Befehlshaber einen Brief von König Venzlav gezeigt«, sagte der Troubadour und warf sich in die Brust. »Der Befehlshaber hat sich mit dem Brief vertraut gemacht, und ich habe selbst gehört, wie er euch befohlen hat, mich bis unmittelbar an den Brokilon zu begleiten. Und ihr wollt mich hier alleinlassen, in diesem Dickicht? Was ist, wenn ich mich verirre?«
    »Tut Ihr nicht«, knurrte mürrisch ein anderer Soldat, der zu ihnen aufgeschlossen war, bisher aber geschwiegen hatte. »Schafft Ihr nicht. Vorher erwischt Euch ’n Pfeil von ’nem Scheuweib.«
    »Ihr seid vielleicht Feiglinge«, spottete Rittersporn. »Ihr habt vielleicht eine Angst vor diesen Dryaden. Dabei liegt der Brokilon doch erst auf der anderen Seite des Bandwassers. Das Bandwasser ist die Grenze. Wir haben sie noch nicht überschritten!«
    »Denen ihre Grenze«, erklärte der Anführer, während er sich umschaute, »reicht so weit wie ihre Pfeile. Ein Pfeil, den sie vom anderen Ufer abschießen, fliegt glatt bis zum Waldrand, und mit solcher Wucht, dass er einen Ringpanzer durchschlägt. Ihr seid scharf drauf, dort hinzugehen, das ist Eure Sache, Eure Haut. Aber mir ist mein Leben lieb. Ich reite nicht weiter. Lieber steck ich den Kopf in ein Hornissennest!«
    »Ich habe euch erklärt« – Rittersporn schob das Hütchen auf den Hinterkopf und richtete sich im Sattel auf  –, »dass ich in einer Mission zum Brokilon reite. Ich bin sozusagen ein Diplomat. Vor den Dryaden habe ich keine Angst. Aber ich bitte euch, so freundlich zu sein und mich bis ans Ufer des Bandwassers zu eskortieren. Was, wenn mich in dieser Wildnis Räuber überfallen?«
    Der andere, mürrische, lächelte gequält. »Räuber? Hier? Am Tage? Herr, am Tage trefft Ihr hier keine Menschenseele. In letzter Zeit schießen die Scheuweiber auf jeden, der sich am Ufer vom Bandwasser blicken lässt, und manchmal kommen sie auch weit auf unsre Seite rüber. Nein, vor Räubern braucht Ihr Euch nicht zu fürchten.«
    »Das stimmt«, bestätigte der Anführer. »Der Räuber müsste mächtig dumm sein, der sich bei Tage am Bandwasser blicken lässt. Darum sind wir auch nicht dumm. Ihr reitet allein, ohne Rüstung und Waffen, und nach ’nem Krieger seht Ihr, entschuldigt, überhaupt nicht aus, das sieht man ’ne Meile weit. Das könnte Euer Glück sein. Aber wenn die Scheuweiber uns sehen, zu Pferde und bewaffnet, sehen wir vor lauter Pfeilen die Sonne nicht mehr.«
    »Tja, was soll man da machen.« Rittersporn tätschelte das Pferd am Halse, schaute hinab in die Schlucht. »Also reite ich allein. Macht’s gut, Soldaten. Danke für die Eskorte.«
    »Nicht so eilig.« Der mürrische Soldat schaute ihn an. »Es ist bald Abend. Wenn der Dunst vom Flusse aufsteigt, dann reitet. Weil nämlich  ...«
    »Was?«
    »Im Nebel treffen die Pfeile nicht so sicher. Wenn Ihr Glück habt, verfehlt Euch das Scheuweib. Aber, Herr, die verfehlen selten einen  ...«
    »Ich habe euch gesagt  ...«
    »Ja doch, habt Ihr, hab’s mitgekriegt. Dass Ihr mit so ’ner Missohn zu ihnen reitet. Aber ich sag Euch was anderes: Mit Missohn oder mit Prozessohn, das ist denen

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