Die Zeit, die Zeit (German Edition)
Arbeit zu bringen.
»Da gibt’s nicht viel zu erzählen. Er kam, klingelte, ging rein, kam wieder raus. Ende.«
»Von wann ist das Foto?«
»Ich würde sagen: März letzten Jahres.«
»Ich meinte eigentlich: genau.«
»Da muss ich nachsehen.«
»Danke.«
»Nachher. Wenn wir hier fertig sind. Sechsundvierzig Komma vier.«
Taler begann wieder zu zählen.
Als er zurück zu seiner Wohnung ging, sah er, dass im dritten Stock Licht brannte. Frau Feldter, die Flugbegleiterin, war zu Hause. Taler ging in seine Wohnung, holte die Ausdrucke der beiden Fotos mit dem Mopedfahrer und klingelte an ihrer Tür.
Es dauerte eine ganze Weile, bis er sah, wie sich der Türspion verdunkelte. Der Schlüssel wurde umgedreht und die Tür einen Spalt geöffnet.
Frau Feldter war offenbar schon im Bett gewesen. Sie trug einen Turban, und ihr Gesicht glänzte von einer nahrhaften Nachtcreme.
»Oh, verzeihen Sie, ich ahnte nicht…«
»Ich dachte, es könne sich nur um etwas Dringendes handeln, um diese Zeit. Ich hoffe, das tut es.«
»Für mich schon. Es handelt sich um Lauras Tod. Immer noch.«
Sie öffnete die Tür. »Kommen Sie.«
Er trat ein. Sie schloss die Tür hinter ihm und blieb in der kleinen Diele stehen.
Frau Feldter trug einen bestickten Kimono, was ihr in Kombination mit der Nachtcreme etwas Geishahaftes verlieh. Auch die Gegenstände, die er von seinem Standort aus erkennen konnte, zeugten von ihrer Vorliebe für den asiatischen Lebensstil.
Er zeigte ihr die Fotos. »Ich muss herausfinden, wer das ist.«
»Moment.« Sie ließ ihn stehen. Als sie zurückkam, trug sie eine Brille, lächelte ihn verlegen an und nahm ihm die Fotos ab. »Ist das der…?«
Taler nickte grimmig. »Fast sicher.«
»Es ist natürlich schwierig, man sieht ja kaum etwas von ihm. Vielleicht hat er etwas gebracht oder abgeholt. Wissen Sie, wann das Foto gemacht wurde?«
»Am siebzehnten März, letztes Jahr. Einem Donnerstag.«
Diesmal ließ sie ihn etwas länger warten. Sie kam mit einem Computerausdruck zurück, der mit Leuchtstift markiert war. »Einsatzplan. Die hebe ich auf, seit ich diesen Job mache. Statt Tagebuch zu führen.« Sie fuhr mit ihrem roten Nagel eine Spalte herunter. »Da: fünfzehnter bis zwanzigster März – Sidney. Falls der zu mir wollte, hat er Pech gehabt. Die Fotos hat der Spanner von gegenüber gemacht, nicht wahr?«
»Ich glaube nicht, dass er ein Spanner ist. Aber es stimmt, er macht Fotos.«
»Ich weiß. Ein Freund von Ihnen?« Auch sie wusste Bescheid.
»Nicht gerade ein Freund. Ich helfe ihm ein bisschen. Er ist sehr allein.«
Taler bedankte sich und entschuldigte sich nochmals für die Störung.
»Nur weil Sie’s waren«, antwortete sie. »Jedem öffne ich nicht um diese Zeit. Und in diesem Aufzug.«
Taler stand in der Finsternis des Dunkelkammervorraums. Die einzige Helligkeit kam von dem Licht, das durch das Negativ fiel. Es war zwischen zwei Gläser geklemmt und steckte in einer vierundzwanzig mal sechsunddreißig Millimeter kleinen Öffnung in einem viereckigen Kasten. Dieser war am Ende eines nach allen Seiten schwenkbaren Arms angeschweißt. Talers Aufgabe war es, diesen so lange zu kippen, heben, senken, drehen und sonst zu bewegen, bis die Projektion in der richtigen Position war und die Fixpunkte auf dem Bild mit denen auf dem Plan übereinstimmten.
In der Durchgangstür zur Dunkelkammer befand sich eine quadratische Öffnung, die mit einem dünnen schwarzen Blech verdeckt war, in dessen Mitte sich ein kleines Loch befand. Da mussten die Lichtstrahlen aus dem Negativ hindurch. Im nächsten Raum projizierten sie ein Bild auf das Millimeterpapier mit dem Gartengrundriss.
Dort drüben stand Knupp und rief Taler mit wachsender Gereiztheit seine Anweisungen zu: »Links, links, links, halt! Nach vorne kippen. Zu viel, zu viel. Nein, mehr.«
Taler wusste nicht, wie lange sie schon so herumprobierten, aber seine Hände wurden immer nervöser und waren schon bald so zittrig wie die des alten Mannes.
Das Negativ, das sie auf diese vorsintflutliche Art zu projizieren versuchten, stammte von dem legendären elften Oktober neunzehneinundneunzig. Es war eine Ansicht des Gartens, und weil eine Camera obscura Bilder an die Wand warf, die von keinem Objektiv verfälscht waren, sollte es möglich sein, die Punkte auf dem Plan mit den Punkten auf dem Foto in Übereinstimmung zu bringen. Sobald dies gelungen war, konnte man alle Objekte des Fotos exakt auf den Plan übertragen, indem man ihre Konturen
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