Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall
Kommandant stapfte wütend auf uns zu, als wir die Absperrung passierten. Ninian wies uns an zu warten, er würde mit ihm sprechen. Ich beobachtete den Schweizer, der Ninian offensichtlich kannte und dem gar nicht so recht war, was von ihm verlangt wurde. Seine Gesten verrieten, dass es ihn den Job kosten könnte, uns Zutritt zu gewähren. Es dauerte lange, aber es gelang, und er winkte uns, schnell durchzugehen.
»War gar nicht so einfach«, sagte Ninian. »Ich musste versprechen, dass ich seiner Mutter, wenn es mal so weit ist, in meiner Kirche das Requiem halte.«
»Ist Yasmina bei ihm vorbeigekommen?«, fragte ich.
»Ja, Benedetti hat Anweisung gegeben, sie durchzulassen.«
»Dann sollten wir schnell machen. Ist es noch weit?«
»Nein, der Eingang zu den Scavi ist gleich da vorne.«
»Aber die sind doch verschlossen«, warf Alvarez ein, der alle Mühe hatte, uns zu folgen.
Wir mussten uns beeilen, den dunklen Innenhof zu überqueren, ohne dass uns ein weiterer Wachmann stellen konnte.
»Die Bestattung seiner Mutter auf unserem Friedhof war der Preis für die Kombination und den Schlüssel«, sagte Ninian.
»Was man nicht alles für das Seelenheil tut«, fügte ich hinzu.
»Auch dir, Kilian, würde ein wenig mehr Demut nicht schaden«, sagte Alvarez. »Wenn dein Namenspatron gewusst hätte, wer in seinem Namen alles Schindluder treibt, wäre er bestimmt an Würzburg vorbeigezogen.«
Ich quittierte die Schelte. »Und Christus wäre statt nach Jerusalem nach Indien gegangen, wenn er geahnt hätte, was nach seinem Tod alles passiert. Dort wäre er wahrscheinlich zum Hinduismus übergetreten und hätte ein langes, glückliches Leben am Ganges geführt.«
»Seid endlich still, wir sind da.« Ninian führte den Schlüssel in das Schloss, auf dessen Tür »Scavi« und darüber »Ufficio« stand. Den Schlüssel hinterlegte er in einer Ecke. Der Kommandant würde gleich danach den Schlüssel an sich nehmen und die Tür wieder versperren. Von da an wären wir auf uns allein gestellt. Es gäbe keine Hilfe und kein Entkommen aus der Nekropole, dieser Stadt der Toten, tief unterhalb des Petersplatzes.
Der Weg führte über eine Treppe hinab zu einer Tür aus mehrfach verstärktem Glas, die mit einem elektronischen Schließsystem gesichert war. Ninian rief die ihm zugeflüsterte Zahlenkolonne aus dem Gedächtnis ab und tippte sie auf dem Display ein. Der gläserne Flügel fuhr zur Seite.
»Schnell«, befahl er, »die Tür schließt sich automatisch nach ein paar Sekunden.«
Wir betraten das unterirdische Reich der Toten. Das Licht war schummrig und der Boden weich, als liefen wir auf dünner Erde, die die noch feuchten Leiber der Märtyrer bedeckte. Ein modrigwarmer Geruch stieg mir in die Nase. Fürwahr, hier war der Tod zu Hause; mit ihm die Legende, und ich erinnerte mich an die Schilderungen Ninians über die vermutlich sichere Grablege des Petrus.
Schließlich war es aber egal, sagte ich mir, ob dort die Knochen eines Heiligen oder die eines Tieres seit fast 2000 Jahren angebetet werden. Der Glaube bezieht seine Substanz aus der Notwendigkeit, glauben zu wollen.
Ich erinnerte mich aber auch an die Legenden, die seit 1300 Jahren über meinen Namenspatron Kilian gestrickt wurden. Ob er nun wirklich als Bischof erst nach Rom gereist war, um sich die Genehmigung zur Missionierung (des bereits christlichen) Frankens einzuholen, oder ob er mit zwölf statt mit zwei Begleitern unterwegs war und ob er tatsächlich von der bösen Gailana gemeuchelt wurde oder von einem fanatischen Heiden, ist im Nachhinein sekundär. Was bleibt, ist der Mythos eines Helden, auf den sich alles begründet.
Wir passierten auf dem schmalen Weg Grabmal um Grabmal. Meistens handelte es sich um enge Kammern, die durch eine Öffnung vom Gang aus einsehbar waren. An ihrer Seite führte eine Treppe zur Decke, die als Zugang diente. Zeichneten sich die ersten Mausoleen auf unserem Weg durch karge Rundbögen und blankes Erdreich aus, änderte sich dies schnell, je weiter wir vorstießen. Prachtvolle Mosaiken römischer Jagdszenen, Fresken mit Szenen aus der griechischen Mythologie und kunstvoll verzierte Sarkophage zeugten von den Leidenschaften der Verstorbenen zu Lebzeiten.
Vor einer dieser Höhlen machte ich Halt. Sie unterschied sich von den anderen durch ihre Weiträumigkeit und auffallende Dekorationen ringsum.
»Das ist das Mausoleum des Gaius Valerius Herma«, erklärte mir Ninian. »Es ist bezeichnend, dass du gerade vor diesem
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