Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall
REISE, MIT MIR HARREN SEINE TREU ERGEBENEN SÖHNE, MEINE BRÜDER AED UND TADG, GEMEINSAM IM GEBET VERSUNKEN AUF DIE HAND DES HENKERS. WIR FÜRCHTEN SIE NICHT, DENN NICHTS KANN SIE UNS NEHMEN, ABER ALLES GEBEN.
MEINEN SOHN CHAMAR, DER IM SCHUTZE DER DUNKELHEIT ZU MIR GESCHLICHEN KAM, WERDE ICH NUN ZU EUCH SCHICKEN, WÄHREND DIE HUNDE DES SATANS VOR MEINER TÜR DIE WAHRHEIT BEDROHEN. IHM WERDE ICH GEBEN, WAS ICH IN EUREM AUFTRAG ERHALTEN UND ALL DIE JAHRE VOR DEN FEINDEN UNSERES HERRN JESUS CHRISTUS BESCHÜTZT HABE. MÖGE ER SICH IN MEINEM NAMEN ALS WÜRDIG ERWEISEN.
BETET FÜR DIE VERIRRTE SEELE BRUDER WILFRIDS. DER HERR MÖGE IHM VERGEBEN, DENN SEINE HAND WIRD DAS SCHWERT GEGEN UNS FÜHREN.
DER HERR SEGNE EUCH.
XIV.
Die Glocken der Stadt trieben mich aus dem Bett.
Ich öffnete die Fensterläden, und ein strahlender Morgen blendete meine Augen, als sähe ich das Licht der Welt zum ersten Mal. Ich trat auf den Balkon hinaus.
»Moin«, sagte Heinlein trocken, als sei’s das Natürlichste auf der Welt, mich in aller Frühe nackt auf einem Balkon in Rom zu treffen. »So früh schon auf den Beinen?«
Ich blickte verschlafen zu ihm hinüber. »Was ist das für ein Lärm?«
»Entweder brennt’s, oder sie haben einen neuen.«
»Was meinst du?«
»Da drüben steigt Rauch auf.« Er zeigte Richtung S. Pietro. Tatsächlich, eine weiße Rauchfahne behauptete sich tapfer gegen den blauen Himmel.
»Dann haben wir wohl wieder mal was verpasst«, sagte ich mit einem langen Gähnen.
»Ich nicht«, antwortete Heinlein verschmitzt, und die Erklärung folgte auf dem Fuß. »Giorgio, wo bleibst du denn? Ich hol mir noch ’ne Erkältung. Komm wieder ins Bett.«
Ein breites Grinsen in seinem Gesicht sagte mir, dass sie in der vergangenen Nacht nicht gleich eingeschlafen waren.
Ich allerdings auch nicht. »Kiliano«, zirpte es hinter mir.
»Ja, gleich«, antwortete ich ihr. »Sofort!«, befahl sie.
»Na, dann bis später«, schmunzelte Heinlein. »Gutes Gelingen«, wünschte er mir noch und zog sich zurück.
Noch bevor ich es ihm gleichtun konnte, fuhr unten auf der Straße eine schwarze Limousine vor. Der Fahrer stieg aus, klingelte und sprach mit Enzo, der ihn jedoch abwimmeln wollte.
Der Mann war widerspenstig, er bestand auf seinem Anliegen und verwies auf die knappe Zeit. Enzo ließ sich überzeugen, trat hinaus aufs Pflaster, und als ob er genau gewusst hätte, dass ich sie beobachtete, schrie er zu mir herauf. »Kiliano, du verschlafener Straßenköter, komm runter, der Pfaffe will dich abholen!«
»Er soll später wiederkommen!«, schrie ich zurück.
»Er sagt, wenn er ohne dich zurückkommt, würde er exorziert!«
»Auch gut. Einer weniger!«
Der Mann blickte zu mir nach oben. »Bitte!«
Zehn Minuten später saß ich bei ihm im Wagen. Ziel: Petersplatz. Mehr war aus dem verstockten Bruder nicht herauszubekommen. Ich stieg im Innenhof von S. Pietro, auf der linken Torbogenseite, wo ich noch ein paar Stunden zuvor aus dem Reich der Toten hinaufgestiegen war, aus dem Wagen. Er wies mich an, ihm zu folgen. Durch den Torbogen betraten wir den Petersplatz. Eine riesige Menge hatte sich versammelt, deren vielstimmiges Gemurmel erst wieder zu hören war, nachdem die letzte Glocke des Domes verklungen war, so wie alle anderen in dieser Stadt.
Der Mann führte mich zu meinem Platz, vorbei an Kardinälen, Staatsgästen, Politikern und zahllosen Kameras. Zugegeben, einen derartigen Auftritt hatte ich noch nie. Gespannt warteten hunderttausend Menschen, bis ich an meinen Platz angelangt war. Kaum hatte ich mich zurückgelehnt, musste ich schon wieder aufstehen. Über mir auf dem Balkon trat ein Kardinal ans Mikrophon. Er besänftigte mit einer Handbewegung die Massen und verkündete:
»Habemus papam!«
Stürmischer Applaus antwortete ihm.
Dann fuhr er fort. »Reverendissimum sacerdotem Dominum Joannem Alvarez qui sibi imposuit nomen Chilianum« 29
Die Menge jubelte frenetisch, schwenkte Fähnchen und erwartete den Auftritt des neuen Papstes. Ich war weniger gespannt. Dennoch blickte ich nach oben. Dann verschlug es mir den Atem. Im edlen und vor allem sauberen Gewand eines Papstes trat Bruder Alvarez heraus. Er war nicht wiederzuerkennen.
»Papst Kilian«, sagte einer neben mir, den ich nicht beachtete, da ich wie festgenagelt Alvarez’ Auftritt verfolgte.
»Ein ungewöhnlicher Name. Finden Sie nicht auch?«
»Ja, sehr ungewöhnlich«, antwortete ich.
Dann spendete der neue Papst den Segen urbi et orbi auch
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