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Die Zeit-Moleküle

Die Zeit-Moleküle

Titel: Die Zeit-Moleküle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D.G. Compton
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fürchtete, sondern weil er glaubte, sein Herz müsse unter den hämmernden Schlägen zerspringen. Phantastische Bilder bedrängten seinen Verstand. Begehren und Beherrschung. Die Bilder wurden heller, deutlicher, phantastischer.
    Er bewegte den Mund in der warmen, dunklen Luft. Das Begehren war stärker als je zuvor, überstieg zum erstenmal die Kraft seiner Selbstbeherrschung. Jetzt blieb nur noch die Ungewißheit, der Körper, der sich nicht wagte.
    Er wagte nicht, sie aufzuhalten. Er wagte nicht, ihre Hand festzuhalten, als sie sich an seinem Hemd hinunterbewegte, den Saum zurückschlug und an seinem Schenkel hinaufkroch. Er wagte nicht, ihre Finger festzuhalten, als sie mit seinen Schamhaaren spielten. Und als sich die Finger schlossen, schlossen sie sich um sein ganzes Wesen, um jeden Knochen, jeden Muskel, jede Zelle seines Körpers, um jedes Haar, um jeden Gedanken. Sie schlossen jede Unsicherheit aus. Sie schlossen die Möglichkeit aus, daß sein Körper nicht wagen durfte, nicht wagen konnte. Er drehte sich im Dunklen um und stürzte sich auf sie.
     
    Er schlief. Sie schluckte ihre Übelkeit gewaltsam hinunter, wagte nicht, ihren Kopf zu drehen, damit er nicht aufwachte. Ihr Mund blutete, und ihre linke Brust blutete. Auch der Muskel über ihrem linken Schulterblatt. Die Innenseiten ihrer weichen Schenkel waren wund. Sie konnte nur mühsam Luft holen. Sie fror und glühte gleichzeitig vor Scham. Sie war dankbar dafür, daß er schlief. Es gab nichts an ihm, das sie akzeptieren konnte. Stolz, Schuld, Arroganz, Buße, Vergnügen, Ekel, Anklage, Ausflucht, Paarung – nichts, was sie akzeptieren konnte. Er hatte sie zu ihrem Opfer gemacht. Sie hatte von ihm verlangt, daß er sie zu seinem Opfer machen sollte. Sie war dankbar dafür, daß er schlief, und wünschte sich, daß er nie mehr aufwachen sollte.

 
VII
     
    Roses war ein Tier der Morgendämmerung. Er erwachte, als das Licht noch fahl wasserblau und grünlich im kahlen Krankenzimmer hing. Er lag ein paar Minuten lang still, wie das seine Gewohnheit war, füllte langsam sein Bewußtsein mit Geräuschen, Gerüchen und Geschmack. Diese Rückkehr zum Leben war jeden Tag für ihn neues, freudiges Ereignis. Ein Wiederfinden vertrauter Dinge. Doch an diesem Morgen gab es auch etwas Unvertrautes. Er dachte darüber nach.
    Er erinnerte sich, daß er in einem Krankenhaus war. Das war offenbar der wichtigste Grund seiner Befremdung. Nicht der feste, trockene Belag zwischen seinen Schenkeln, der das Haar dort verklebte. Nicht dieser eigenartige Geschmack im Mund und die leise Benommenheit. Er begriff jetzt, was das für ein Geschmack war, öffnete die Augen und erinnerte sich wieder. Er erinnerte sich, erinnerte sich so weit, daß es genügte … Nicht an jede Bewegung, jede Bedeutung, aber doch genügend. Erregung, Höhepunkt, Schrecken, Chaos. Er sah die schlafende Liza neben sich, sah genug.
    Wie eine Katze stahl er sich aus dem Bett. Sie bewegte den Kopf, runzelte die Stirn, aber wachte nicht auf. Er zog seine Hose an, blickte dabei nicht auf den weißen, klebrigen Belag seiner Schande, und schlüpfte in seine ausgetretenen Turnschuhe. Er flüchtete aus dem Zimmer, durch die verlassenen Korridore, bis er einen Ausgang ins Freie fand, in den tröstlichen, unschuldigen Morgen. Tau glitzerte auf dem Gras. Die Strahlen der aufgehenden Sonne zogen silberne Fäden über jeden Halm. Die Luft war still und kühl. Roses nahm die Stille dankbar auf – er hatte die sommerliche Morgenbetriebsamkeit, die früher einmal das Tal erfüllte, längst vergessen. Er ging rasch die Hauptstraße hinunter, spürte die Rundung jedes Pflastersteines durch die dünnen Sohlen, sah die Häuser.
    Als er den Dorfkai erreichte, hielt er an, denn dort patrouillierten zwei Sicherheitsbeamte. Sie sprachen ihn freundlich an, wunderten sich nicht, weil er schon so früh auf war, wunderten sich auch nicht, als er keine Antwort gab. Sie gingen weiter, überquerten die langen Schatten auf dem Dorfrasen und verschwanden zwischen der Chrononautenunterkunft und dem Dorfgasthaus. Ein Hund näherte sich freundlich und bekam ebenfalls keine Antwort.
    Roses rannte die Rampe hinunter zum Strand. Dicht neben der Kaimauer zog er die Schuhe und dann die Hose aus. Er watete ins Wasser hinaus, achtete nicht auf die empfindliche Kälte. Als der Saum seines Hemdes das Wasser berührte, raffte er ihn mit einer Hand hoch und beugte die Knie, um sich zu waschen. Er blickte nicht zurück auf das Dorf – wenn man

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