Die Zeit-Moleküle
dich alle früher oder später enttäuschen und dich auffressen … Liza lächelte auf das Mädchen hinunter. So viel Bildung, so viel Ausbildung, so viel blindes Vertrauen.
Sie ging von der Startbühne herunter und stellte die Fernsehkamera ein. Dann schaltete sie auch noch die Mikrophone zu, damit die Kameraden in der Unterkunft mithören konnten. Schließlich durchquerte sie den Raum und ging zu Dr. Meyer, um ihn ebenfalls in die Sache hineinzuziehen und ihm die unschuldige Außenseiterrolle an der Tür zu verderben.
»Da sitzt sie, Dr. Meyer. Sie können noch eine abschließende Untersuchung vornehmen.«
»Das ist erledigt, Miß Simmons. Die Leute vom Ausbildungsstab haben sie peinlich genau untersucht, ehe sie hierhergeschickt wurde.« Er sprach mit leiser Stimme. »Mein Auftrag ist, danach die Überreste einzusammeln. Wenn es überhaupt noch Überreste gibt.«
»Haben Sie so wenig Vertrauen zum Professor?«
»Ich habe immerhin eine wissenschaftliche Ausbildung genossen, Miß Simmons. Ich weiß so gut wie Sie, wann ein Forschungsprojekt überstürzt vorangetrieben wird.«
Er behielt also seine Außenseiterrolle bei. Auch konnte sie das Gespräch nicht fortsetzen, denn von draußen drangen die Geräusche von Gewehrsalven in das Labor. Liza trat ans Fenster. Ein kleines ziviles Hovercraft-Fahrzeug kam rasch den Pill heraufgefahren. Als es sich dem Kai näherte, nebelte es sich ein.
»Diese Idioten«, sagte der Projektleiter hinter Lizas Rücken, »können sie es denn gar nicht abwarten? Wissen sie denn nicht, daß wir spätestens in zwei Tagen sowieso schließen müssen?«
»Sie wollen eben gewaltsam eindringen, solange das noch geht«, erwiderte Liza. »Treibjagd auf Wissenschaftler ist ja inzwischen zum Nationalsport geworden.«
Er starrte sie einen Moment lang an. Sie war noch so jung und doch schon so verbittert, dachte er, während die Spannung zwischen ihnen etwas abebbte. Oder waren nicht die Jungen immer verbittert? Welche intelligente Person war denn nicht verbittert? Er drehte sich um, ging rasch zum Telephon und rief Sergeant Cole an.
»Operation 3f, wenn ich richtig informiert bin, Sergeant Cole. Standardverfahren. Ich bin hier im Labor, falls Sie mich brauchen sollten. Und machen Sie es so unauffällig wie möglich – wir haben heute hier ein ganz besonderes Experiment. Sagen Sie den Leuten Bescheid. Sagen Sie ihnen, falls heute nachmittag hier alles gutgeht, können sie nach dem ursprünglichen Evakuierungsplan das Dorf sicher verlassen. Vielleicht schon morgen abend. Ehe das Ministerium hier einmarschiert.«
Er schaltete ab und blickte zum Gründer hinüber, um nach der Tat die Erlaubnis einzuholen. Der Gründer nickte leise und blickte auf die Uhr. David tat es ihm nach und sah, daß es eine Minute vor drei Uhr war. Liza verteilte gerade Ohrenstöpsel. David behielt sie noch in der Hand. Er wollte hören, wie sich das Gefecht am Kai entwickelte. Die Sicht aus dem Laborfenster war schlecht, der Kai hinter einer Gruppe von kleinen Bäumen und dem spitzen Dach der Polizeistation versteckt.
Die Nebelwand des Hovercraft-Fahrzeuges löste sich auf und trieb die Fore Street hinunter. David konnte die Sicherheitsbeamten bei der Arbeit sehen, Männer in Gasmasken, die eine Barrikade errichteten. Sie war für Notfälle gedacht und wurde unter Hochspannung gesetzt. Das Hovercraft-Fahrzeug gehörte zu einer Flotte von Mietfahrzeugen, die einer Gruppe von Abenteurern in Mevagissy gehörte. Sie wurden hauptsächlich dafür gebraucht, um Drogen auf die Insel zu schmuggeln. Er hatte davon gehört, daß Teenager den Eigentümern Leihgebühren zahlten, wenn sie damit eine kleine Rundfahrt veranstalten durften. Das war eine neue Art Nervenkitzel, eine Art Sport an Wochenenden und Feierabend. Für solche jungen Leute, die Abenteuer um jeden Preis suchten, war die Hetze auf Wissenschaftler genau das Richtige. Es kostete zwar ein bißchen mehr, aber dafür war die Sache auch dufte. Er hoffte, daß Sergeant Cole ihnen den Nervenkitzel verschaffte, den sie suchten.
Hinter ihm fing die Elektronik zu jaulen an. Er drehte sich um, beobachtete die Startvorgänge, die inzwischen für ihn zur Routine geworden waren. Eigentlich sollte er heute besonders hochgespannte Erwartungen haben. Schließlich war Rachel Moser der erste Chrononaut, das erste menschliche Wesen, das sich in die chronomische Einheit begab. So ein hübsches Mädchen in so einem hübschen Kleid. Doch seine Erwartungen waren eher schlaff, und er
Weitere Kostenlose Bücher