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Die Zeit-Verschwoerung 3 Navigator - Roman

Die Zeit-Verschwoerung 3 Navigator - Roman

Titel: Die Zeit-Verschwoerung 3 Navigator - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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die Angst von Neuem.
     
    Für Harry Wooler war es der Täuberich selbst, dessen schlagende Flügel Schatten auf sein Leben warfen. Es geschah an dem Tag, als seine eigene kleine Welt an eine Art Ende gelangte – dem Tag, als sein Vater im Sterben lag.
    Harry, gerade einmal siebzehn Jahre alt, musste sich über ein Gesicht beugen, das bereits wie ein Totenschädel aussah, einen Atem riechen, der noch immer nach Bier stank, und zuhören, während ihm sein Vater eine jahrhundertealte Familiengeschichte ins Ohr flüsterte, eine Geschichte von Ahnen namens Orm und Eadgyth und von einer seltsamen, dunklen Prophezeiung, in der es um einen Mann namens »der Täuberich« ging, der die gesamte Historie prägen würde. Am Ende verschmolz diese morbide Geschichte nahtlos mit dem biergetränkten Todesröcheln seines Vaters. Harry war jedoch der älteste Sohn, und so war die Reihe an ihm, die Sage in sich aufzunehmen, wie es sein Vater, auch
er ein ältester Sohn, vor ihm getan hatte – es war seine Pflicht, zuzuhören. Und schließlich hatte sein Vater alle anderen bereits aus dem Haus getrieben, seine Mutter, seine Schwester, seine Brüder.
    Also hörte Harry zu, und nachdem sein Vater gestorben war, schloss er dieses morbide Zeug in seinem Herzen ein und versuchte sich einzubilden, es sei fort.
    Aber das war es nicht.

II
    1481 n. Chr.
    Der Januarmorgen war noch grau, als Harry Wooler, von Norden kommend, durch das Tor von Newgate nach London hineinging. Hier wurden Rinder, Schafe, Schweine und Hühner zu den Rufen der Treiber in die Stadt geschleust, ein steter Strom von Nahrungsmitteln, der sich in einen ewig hungrigen Schlund ergoss. Es war, als betrete man einen riesigen Bauernhof, dachte Harry. Weiter südlich kam er zum Schlachthaus-Bezirk, wo die Tiere getötet, gehäutet und zerlegt wurden, bevor sie ihre Reise zu den Schlachterläden und Gerbern in Stücken fortsetzten. Er merkte, dass er auf einem Teppich aus Blut und tierischen Gedärmen ging, die in der kalten Luft dampften, und über allem lag ein fürchterlicher Gestank von Exkrementen und Urin sowie der Eisengeruch des Blutes.
    Dann ging er in südlicher Richtung weiter nach Cheapside, wo die Grobschmiede, Goldschmiede, Silberschmiede, Gerber, Färber und Töpfer arbeiteten; dort verlor sich das Bauernhof-Geblök im Klirren von Metall auf Ambossen und den dumpfen Lauten, mit denen Nägel in Holz oder Leder getrieben wurden, und der Kuhstallgestank wich dem Gestank der Uringefäße
der Tuchwalker. Cheapside war ein herrliches, nicht enden wollendes Handelsfest. Hier konnte man alles kaufen, was das Herz begehrte, von warmer Kalbspastete bis zu einem Krug Bier, von einem flämischen Hut bis zu italienischen Schuhen, von französischem Leinen und spanischer Seide bis zu östlichen Gewürzen und skandinavischem Walross-Elfenbein – von den Worten eines apokalyptischen Predigers als Inspiration für Geist und Seele bis zur feuchten Möse eines Mädchens als Wohltat für den Körper. Trotz des Gestanks, des Drecks und Gedränges, trotz der Bettler, die wie Krähen umherflatterten und um ein paar überschüssige Farthings baten, war dies für Harry ein wundervoller Ort, und er war gerne hier.
    Harry stammte aus Oxford, war jedoch Kaufmann, und Englands Geschäftskapitale kam ihm wie seine zweite Heimat vor. Und in Cheapside pulsierten Handel und Gewerbe wie nirgendwo sonst in England.
    An diesem Tag war Harry jedoch nicht aus beruflichen Gründen hier.
    Er ging noch weiter nach Süden, an den Mauern von Saint Paul’s vorbei und durch immer schmaler werdende Straßen. Die Mauern der Lagerhäuser zu beiden Seiten waren mit Anschlägen apokalyptischer Verkündigungen der Bibel gepflastert. Er sah sich die Anschläge neugierig an, denn sie waren gedruckt, eine Neuheit, die man in Oxford bisher nur selten zu Gesicht bekam.
    Schließlich gelangte er ans Flussufer. Durch einen Wald aus Kränen, Schiffsmasten und beschlagenen Segeln konnte er gerade so eben das braune, schmutzige
Wasser sehen, und er hörte die Stauer in einem Dutzend Sprachen fluchen. Er befand sich in der Nähe der einzigen alten Brücke, die zum Südufer hinüberführte. Links war der hässliche Bau des Towers, rechts der riesige Palast von Westminster mit der dahinterliegenden Abtei in ihrem Vorort jenseits der Biegung des Flusses. Er wandte sich nach rechts und ging vielleicht eine Viertelmeile am Flussufer entlang. Als er auf die alte Hafenstraße namens Strand stieß, bog er nach Norden ab und

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