Die Zeit-Verschwoerung 3 Navigator - Roman
der klagende Ruf eines Muezzins. In dieser Stadt verhüllte die christliche Maske nur unvollkommen das maurische Gesicht, dachte Geoffrey.
Er folgte Abdul die Rampen hinunter, über die einst Pferdehufe geklappert waren.
XXI
Der Gerichtssaal war ein kalter, fensterloser Raum mit rußbeschmierten Steinwänden in den Eingeweiden der Triana. Wachposten standen an der Tür und im hinteren Teil des Raumes, muskulöse Soldaten der Heiligen Bruderschaft, der Religionspolizei von Fernando und Isabel.
Das Inquisitorentriumvirat wurde von Diego Ferron persönlich geleitet. Zwei weitere Geistliche saßen links und rechts neben ihm. Das Pult vor ihnen war mit einem Haufen Papiere und Handbüchern zum Verfahren übersät, und ein Schreiber machte fortwährend Notizen. Wenn die Inquisition eines war, dann ordentlich.
Der einzige anwesende Zuschauer wer Geoffrey Cotesford, der so tapfer, wie er konnte, auf einem harten Holzstuhl saß. Der Stuhl war speziell für ihn hereingebracht worden; Diego Ferron hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass er hier nicht willkommen war.
Ein riesiges, detailreiches Kruzifix hing an einer Wand. Geoffrey musterte widerstrebend das Bild Jesu Christi mit seinen klaffenden Wunden. Vermutlich war er sich als Einziger in diesem Raum der Ironie
bewusst, die darin lag, dass diese grausige Skulptur eines Folteropfers an einem solchen Ort hing.
Schließlich wurde Agnes hereingebracht. Zwei weitere stämmige Brüder schleiften sie halb in den Raum. Sie trug ein schmutziges, farbloses Hängekleid mit alten, braunen Blutflecken, und ihr Haar war verfilzt und schmutzig. Die Größe der beiden Soldaten war absurd, fand Geoffrey; jeder von ihnen hätte sie mit einem einzigen Schlag zerbrechen können. Sie schaute sich mit trüben Augen um; ihr Blick schweifte über Ferron, dessen Kollegen und den gekreuzigten Christus. Ein Geruch von Verwesung umgab sie, von Exkrementen und Blut. Aber ihr eingefallenes Gesicht hatte eine seltsame, unirdische Schönheit.
Und dann drehte sie sich um und sah Geoffrey direkt an, und ihre Augen wurden groß.
Geoffrey zwang sich, sie anzulächeln, und machte mit zwei Fingern ein Segenszeichen. Wie sehr sie es ihm anlasten musste, dass er sie aus der Abgeschlossenheit ihres Eremitendaseins gerissen hatte!
Sie ließ den Kopf sinken.
Ferron beobachtete das alles kalt. Dann nickte er den Brüdern zu. »Lasst sie los.«
Die Brüder ließen die Arme des Mädchens los. Agnes sank auf Hände und Knie, und Geoffrey sah zum ersten Mal ihren Rücken. Unter dem dünnen Tuch ihres Hängekleids waren deutlich blutige Striemen zu erkennen.
Geoffrey merkte, dass er aufgesprungen war. »Das ist ungeheuerlich. Sie ist ausgepeitscht worden!«
Ferron richtete einen strengen, starren Blick auf ihn. »Die gebotenen und gesetzmäßigen Verfahren sind allesamt ordnungsgemäß angewandt worden. Dem Mädchen wurden sogar dreißig Tage Aufschub für eine freiwillige, umfassende Beichte gewährt. Nach Ablauf der dreißig Tage wurde sie wieder ermutigt zu sprechen.«
»Das nennt Ihr Ermutigung ?«
»Und da sie weiterhin schwieg, wurde sie vor Gericht gestellt. Vielleicht wird sie hier sprechen. Aber Ihr, Frater, werdet schweigen, sonst werdet Ihr des Raumes verwiesen.«
Geoffrey setzte sich hin. Er kochte vor Wut.
Ferron fixierte das Mädchen mit seinem kalten, urteilenden Blick. »Agnes Wooler. Du bist der mutwilligen Zerstörung schuldig. Durch dich hat ein altes Projekt, das heilige, fromme Ziele verfolgte, Schaden gelitten: Du hast die Schwerter unseres neuen Kreuzzugs stumpf gemacht. Und darüber hinaus hast du vielen Menschen das Leben genommen.«
»Nein«, warf Geoffrey ein. »Niemand ist ums Leben gekommen. Sie hat die Brüder in dieser Manufaktur rechtzeitig vorgewarnt. Was immer Ihr von ihren Anschlägen auf die Maschinen haltet, des Mordes schuldig ist sie nicht.«
Ferron ignorierte ihn erneut. »Des Weiteren werfe ich dir vor, Agnes Wooler, dass du einen verderblichen Einfluss auf einen Bittsteller am Hof von Fernando und Isabel, Gottes auserwählten Sendboten auf der Erde in dieser dunklen Zeit, ausgeübt hast. Ich meine
Cristóbal Colón, den Navigator.« Und Ferron sprach in ruhigem Ton über den »chinesischen« Leichnam, der an der Küste bei Palos entdeckt worden war. Colón hatte geglaubt, er sei von Asien aus ostwärts getragen worden. Aber der Tote war von einem Arzt untersucht worden, der aufgrund der Blutgerinnung die Meinung vertrat, die Tätowierungen seien ihm nach dem
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