Die Zeit-Verschwoerung 3 Navigator - Roman
Gelegenheit dazu hatte.«
»Vorbei ist vorbei«, sagte Ibn Shaprut. »Man kann es ihm nicht verdenken, dass er sich zu retten versucht. Und er könnte uns sogar helfen, auch wenn er das gar nicht will, indem er den Einzug der Christen in die Stadt ein wenig erleichtert.«
»›Den Einzug der Christen erleichtert‹«, fauchte Subh. »Wovon redest du, du Quacksalber? Begreifst du denn gar nicht, was hier vorgeht?«
Ibrahim runzelte die Stirn. »Was meinst du? Fernando hat die Stadt. Was kann er denn sonst noch wollen?«
»Uns vertreiben«, sagte Subh.
»Was?«
»Wir müssen fort. Alle Mauren – jeder, der laufen kann, und selbst wenn nicht. Das ist die Bedingung, die Fernando stellen wird. Fernando will keine lebendige
Stadt. Er will uns nicht. Er will nur die Steine, als Behausungen für eine neue christliche Bevölkerung.«
Ibrahim war sprachlos. Der Raum drehte sich um ihn, und die satten Farben verblassten zu Gelbgrau. Er spürte Ibn Shapruts starke Hände an seinen Schultern, als dieser ihn behutsam auf einen Haufen Sitzkissen sinken ließ.
Ibn Shaprut bot ihm einen Becher mit Wasser verdünnten Weines an. »Trink das.«
Subh stand mit wütendem Blick über ihm, eine mitleidlose Mutter. »Du hast dich aufgerieben, und zwar völlig umsonst. Ich hab’s dir gesagt, aber hast du auf mich gehört? Jetzt sieh dich an – du wirst ohnmächtig wie eine alte Frau, in dieser Stunde der größten Krise unserer Familie.«
»Die Familie.« Ibrahim hörte seine eigene Stimme wie von fern. »Was spielt die Familie denn für eine Rolle? So etwas hat es noch nie gegeben. Nicht einmal in Córdoba. Dort leben Muslime noch immer unter der christlichen Herrschaft, so wie Christen früher unter unserer Herrschaft gelebt haben.«
»Die Dinge haben sich geändert«, sagte Subh. »Schau sie dir an, Ibrahim. Schau sie dir an, mit ihren abscheulichen Kreuzen auf den Schultern.«
»Sie werden nicht einmal wissen, wie die Stadt funktioniert . Die Stadt – das sind ihre Menschen, ihre Geschichte … Es ist undenkbar.«
»Und doch werden solche Dinge gedacht«, sagte der Arzt. »Du bist ein geistig gesunder Mensch in einer Welt von Wahnsinnigen, Ibrahim. Und wir geistig Gesunden
müssen mit den Entscheidungen der anderen und deren Folgen fertigwerden. Komm, mein Freund. Stell dich zu mir. In den kommenden Tagen wird die Stadt einen letzten Dienst von dir verlangen.«
»Ja. Einen letzten Dienst.«
»Und«, sagte Subh mit einem wütenden Blick zu den Christen, »die Familie muss noch ein großes Ziel erreichen, bevor wir diesen Ort verlassen – als Vertriebene, wie wir auch schon aus Córdoba vertrieben worden sind.«
Ibrahim wusste, dass sie den Kodex meinte, der angeblich unter der Moschee verborgen lag. In diesem katastrophalen Augenblick für eine ganze Zivilisation schmiedete sie Pläne, in denen es um Belanglosigkeiten ging. In seinen Augen war sie genauso wahnsinnig wie die Christen. Und dennoch musste er mit ihr ebenso fertigwerden wie mit dem großen Unheil, das die Stadt ereilt hatte.
Er erhob sich mühsam und stützte sich dabei auf Ibn Shaprut.
XXX
Fernando setzte ihnen eine Frist von einem Monat für die Evakuierung. Er erklärte dem Emir ohne Umschweife, dass er das Weihnachtsfest in Sevillas großer Moschee zu begehen gedachte, nachdem sie zu einer christlichen Kathedrale umgeweiht worden wäre.
In diesem letzten Monat arbeitete Ibrahim noch härter als in den schlimmsten Zeiten der Belagerung. Er half, den Auszug aus einer Großstadt zu organisieren.
Wenn er durch die Straßen ging, traf er auf eine Stimmung, die von Zorn über die Evakuierung und von Ungläubigkeit geprägt war. Man führte ihn durch Häuser und Gärten, die selbst nach der Belagerung noch imposant wirkten, mit prächtigen Innenhöfen, aus deren verrosteten Brunnen einst Wasser gesprudelt war; man zeigte ihm Läden, Geschäfte und Unternehmen, die sorgfältig über Generationen hinweg aufgebaut worden waren. Wie konnte man all das aufgeben, damit es von ignoranten christlichen Barbaren entweiht wurde? Manche Leute wollten aus reiner Sturheit nicht ausziehen. Und andere klammerten sich an die Hoffnung, auch wenn Ibrahim in noch so strengem Ton von der gnadenlosen Entschlossenheit
der Christen sprach. Vielleicht gab es ja doch einen Weg, unter den Christen einen Platz zu finden. Oder vielleicht konnte man sich in seinem Heim einfach hinter einer verschlossenen Tür verstecken, und irgendwie würde sich alles zum Guten wenden. Ibrahim
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