Die Zeit-Verschwoerung 3 Navigator - Roman
entsprechend informieren konnte. In ein paar Tagen würde sich wohl irgendein christlicher Soldat um diese Probleme kümmern, und er konnte sich endlich ausruhen.
Er ging zum Fluss hinunter. An diesem Morgen fuhren keine Schiffe, und die Wasserräder drehten sich nicht. Ihm fiel auf, wie still es jetzt in Sevilla war. Es gab nur noch wenige Tiere; in der vom Hunger gepeinigten Stadt waren die Hunde und Katzen noch vor den Ratten in die Kochtöpfe gewandert. Selbst die Singvögel waren mit Netzen gefangen, gerupft und verzehrt worden. Es gab auch nur noch wenige Kinder und noch weniger alte Leute. Ibn Shaprut, der Arzt, hatte ihm erklärt, dass Hunger, Krankheiten und Wassermangel stets die ganz Alten und die ganz Jungen dahinrafften, die Anfälligsten.
Sein Spaziergang ermüdete ihn rasch. Der verbrannte Rücken tat immer noch manchmal weh, und die Kälte des Regens schnitt in seine Haut. Nach Monaten der Rationierung fühlte er sich hin und wieder so
leicht und zart, so losgelöst von der Wirklichkeit, als wäre er nur mehr ein Geist, der in den Straßen der Stadt spukte, die er zu retten versucht hatte.
Er war weit genug gelaufen. Er kehrte um.
Im Palast des Emirs gafften christliche Soldaten die Fliesen und Fresken an und schielten lüstern nach den muslimischen Frauen. Die Christen trugen Kettenhemden und Eisenhelme, und auf ihren Schultern prangten leuchtend rote Kreuze. Sie waren crucesignati , Kreuzfahrer, heilige Krieger, erfüllt von Frömmigkeit und gesegnet vom Papst. Aber sie waren fast ebenso zerlumpt und halb verhungert wie die überlebende Stadtbevölkerung.
Ibrahim durchquerte den Innenhof vor der turayya , dem Saal im Zentrum der Raumfolge namens »Plejaden«, dem prächtigsten Ort im ganzen Palastkomplex. Der Innenhof war eine hübsche rechteckige Fläche, eingefasst von einer Galerie aus zarten Kleeblattbogen. Ein christlicher Soldat hatte die Stiefel ausgezogen und badete seine schmutzigen, mit Blasen übersäten Füße im Regenwasser, das sich im Fischteich gefangen hatte. Sein Kamerad sah Ibrahim vorbeigehen, gab dem Badenden einen Tritt und sagte etwas in rauem Latein.
»Steh auf, Michael, du Arschloch, du blamierst uns.«
»Ach, lass mich in Ruhe, Saladin. Selber Arschloch. Das ist doch gar nicht so schlecht, oder? Gar nicht so schlecht für so ein Soldatenleben …«
Ibrahim war überrascht, dass ein christlicher Soldat
diesen berühmten Sarazenennamen, Saladin, trug. Aber Fernandos Heer war international; es bestand aus Soldaten aus allen Ländern der Christenheit. Dieser »Saladin« konnte sonst woher kommen.
Er ging in die turayya hinein und stellte fest, dass die Diskussionen bereits begonnen hatten. Die Gruppe der Christen war an einer Wand aufgereiht und funkelte die vom Wesir angeführten Vertreter des Emirs, die sich an der anderen Wand zusammengeschart hatten, böse an. Unglückselige Diener hasteten zitternd vor Furcht mit Tabletts voller Süßigkeiten und Wein zwischen den Gruppen hin und her. Die christlichen Führer waren Krieger und Geistliche, Ritter und Fürsten, Gesandte des Papstes. Einige gehörten gleichzeitig dem Heer und dem Klerus an; Ibrahim sah einen Mann mit Tonsur und Kettenpanzerweste über seiner Mönchskutte. Und sie trugen allesamt das Schulterkreuz des Kreuzzugs.
In der christlichen Gruppe gab es nur eine einzige Frau. Sie war noch jung, vielleicht in den Dreißigern, und recht hübsch, mit einem mandelförmigen Gesicht. Ein fetter, älterer Mönch begleitete sie. Hübsch oder nicht, sie funkelte ihre muslimischen Gegner so scharf an wie jeder der Männer.
Im Zentrum der maurischen Gruppe erspähte Ibrahim Ibn Shaprut – und wie er einigermaßen schockiert sah, stand seine eigene Mutter dicht bei ihm.
Er ging zu ihr. »Mutter. Was machst du hier? Es ist nicht gerade sicher.«
Subhs Gewand war so weiß und rein wie Gebirgsschnee,
ihr Gesicht glänzte von teuren Ölen, und das Haar war unter dem Schleier zurückgebunden; sie sah prächtig aus. Prächtig, aber wütend. »Sicher? Wo ist es denn sicher? Keiner von uns ist in Sicherheit, Ibrahim. Das heißt, keiner von uns außer ihm .« Sie zeigte hin.
Ibrahim schaute zur anderen Seite des Raumes hinüber. Da war die Frau mit dem Mandelgesicht, und neben ihr stand, angeregt mit ihr und ihrem Mönch schwatzend, ein schwabbeliger, beleibter, schwitzender Maure.
»Ali Gurdu«, sagte Ibrahim voller Abscheu. »Dieser Gauner. Ich hätte ihm die Hände und Füße abhacken sollen, als ich noch die
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