Die Zeit-Verschwoerung 3 Navigator - Roman
hinweg.
Er lag lang ausgestreckt über seiner Mutter. Hastig richtete er sich ein Stück auf. Sein Rücken war verkrampft und verbrannt; er tat weh. Seiner Mutter schien nichts geschehen zu sein. Sie lag auf dem Boden und sah zu ihm auf. Ihre Lippen bewegten sich, aber er konnte kein Wort hören.
Dann merkte er, dass er überhaupt nichts hörte. Er sah, dass Blut aus den Ohren seiner Mutter sickerte und sich in ihrer Kehle sammelte. Als er seine Wangen berührte und die Finger wieder wegnahm, waren sie klebrig von Blut. Er war schockiert. Einen solchen Lärm hatte er noch nie gehört, noch nie in seinem Leben.
Er stand auf und drehte sich um.
Das Donnermaul war aufgeplatzt. Das Kohlenbecken war zertrümmert, die heißen Kohlen lagen verstreut und rauchend auf der Plattform. Die beiden Gelehrten lagen reglos auf dem Rücken. Verwundert sah er, dass verformte Kupferstücke in der Steinmauer steckten.
Und Peter wand sich am Boden. Blut spritzte aus einem Dutzend Wunden, die in seinen Körper gestanzt worden waren. Sein Gesicht war so gut wie verschwunden, sah Ibrahim entsetzt; die Haut war weggebrannt, obwohl ein furchtbarer Zufall seine Augäpfel heil gelassen
hatte, die schreckerfüllt aus lidlosen Höhlen starrten.
Das Donnermaul kippte lautlos vornüber. Ibrahim sah, wie das Rohr über die Zinnen nickte, und eine Eisenkugel rollte harmlos heraus und fiel an der Mauer entlang zum Erdboden hinunter.
XXVIII
Saladin und Thomas durften den Erkundungstrupp nicht zum Fuß der Mauer unter dem Turm begleiten, auf dem die seltsame Explosion stattgefunden hatte. Aber sie konnten sich ansehen, was der Trupp mitbrachte: ein paar verbogene Metallstücke und eine riesige Eisenkugel.
»Eine Maschine«, sagte Thomas finster. »Oder die Überreste einer Maschine, die versagt hat.«
»Subh«, meinte Saladin. »Die Cousine meiner Mutter. Sie ist da drin. Das ist der Beweis.« Er warf einen Blick auf die Stadtmauern und fragte sich, ob diese entfernte Verwandte, die er nie kennengelernt hatte, jetzt gerade zu ihm herüberschaute. »Offenbar besitzt sie die Maschinenpläne. Sie hat sie bestimmt in der Moschee ausgegraben …«
»Nicht unbedingt. In der Stadt wimmelt es von Fernandos Spionen. Wenn so etwas geschehen wäre, hätten wir davon erfahren. Subhs Brief an deine Mutter enthielt Hinweise auf andere Entwürfe – Skizzen, die Sihtric und seine Mitarbeiter anhand der Originale entwickelt hatten und die bei Sihtrics Tod nicht vollständig verloren gingen. Vielleicht ist das hier das Resultat.« Er grunzte und stupste vorsichtig ein abgerissenes
Stück Kupferblech an. »Es würde jedenfalls erklären, weshalb die Maschine versagt hat. Vielleicht ist es noch nicht zu spät für uns, als Erste an die Originale zu gelangen.«
»Das hoffe ich. Sonst wird Mutter wütend sein.«
XXIX
Aus den Amtsräumen des Wesirs verlautete, König Fernando sei bereit, die Kapitulation der Stadt am dreiundzwanzigsten November entgegenzunehmen. Drei Tage vor diesem Stichtag sollten sich die Vertreter des Emirs mit Repräsentanten des Königs und des Papstes treffen; dabei würden Fernandos Bedingungen vorgelegt werden.
Ibrahim war von den Monaten der Belagerung abgestumpft. Ibn Shaprut riet ihm jedoch, die Hoffnung nicht aufzugeben. Vielleicht entdeckten die Christen in diesem Augenblick der Kapitulation die Gnade Jesu Christi in sich, derer sie sich so lauthals rühmten.
Am Morgen des Treffens erwachte Ibrahim kurz nach Tagesanbruch aus einem unruhigen Schlaf. Er hörte Regen herabrauschen.
Ibrahim verließ den Palast und ging durch die Straßen der Stadt, um einen klaren Kopf zu bekommen. Der Regen auf seinem nach oben gewandten Gesicht war leicht und frisch. Die Menschen kamen aus ihren Häusern, Männer und Frauen, aus deren schmutzigen Ärmeln knochige Arme ragten. Sie stellten Töpfe, Schüsseln und Becher ins Freie, um das Regenwasser aufzufangen. Dies war der erste größere Regen des
Winters, und Ibrahim stellte sich vor, wie er die Luft reinigte und den letzten Rest Hitze und Gestank des schmutzigen Sommers der Belagerung wegspülte. Die Welt war also endlich wieder freundlich zu Sevilla.
Aber es war zu spät. Das sagten ihm die Leichen, die bündelweise in Hauseingängen lagen und sich in Gassen häuften: die Toten der Nacht, hingelegt von denen, die zu schwach oder zu apathisch waren, um sie ordnungsgemäß zu entsorgen. Ibrahim machte sich innerlich eine Notiz, wo die Leichen lagen, damit er die Arbeitstrupps des Tages
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