Die Zeitdetektive 02 Der rote Racher
irgendetwas schien ihn zu beunruhigen. Nur was?
Kim trank noch einen Schluck Milch, um Zeit zu gewinnen. Leon und Julian sahen sie erwartungsvoll an. Nur Kija blieb völlig gelassen und schleckte in aller Ruhe die Ziegenmilch auf.
»Hat Aurelius auch hier in der Via Labicana trainiert?«, fragte Kim schließlich.
Flavius wandte sich ab und ging zum Tresen zurück. Dort begann er, die Holzplatte mit einem fleckigen Tuch abzuwischen. Einige Fliegen ergriffen die Flucht. Kim fürchtete schon, dass Flavius nichts mehr sagen wollte. Hatte sie sich zu weit vorgewagt?
Dann sagte Flavius: »Ja, auch er war hier. Wie alle anderen auch. Sie kommen in die Via Labicana, um ausgebildet zu werden – für den sicheren Tod in der Arena.«
»Nicht alle sterben dort, oder?«
Mit einer blitzschnellen Bewegung erlegte Flavius eine der Fliegen. Er hob sie vom Tisch auf und hielt sie gegen das schwächer werdende Licht, das von der Straße hereinfiel.
»Ihr Ruhm ist nur von kurzer Dauer, wenn überhaupt. Irgendwann sterben sie alle«, sagte er müde.
Kim gab sich einen Ruck. Sie würde jetzt aufs Ganze gehen. »War Aurelius oft hier?«
»Warum willst du das wissen?«, wich Flavius aus. »Warum interessierst du dich ausgerechnet für diesen Mann?«
»Weil mein Bruder auch Gladiator werden will«, erzählte Kim. »Und immer redet er von Aurelius. Wie großartig er sei und wie erfolgreich. Aber ich will meinem Bruder diese Hirngespinste ausreden.«
Flavius knabberte auf seiner Unterlippe herum. Er schien Kims Geschichte zu glauben. »Ja, Aurelius war öfter hier. Ein netter Kerl. Still, in sich gekehrt. Hat nie viel geredet. Ein trauriger, junger Mann und ein begnadeter Kämpfer. Die meisten hatten Angst vor ihm. Er war anders als die anderen. Er war kein gewöhnlicher Gladiator.«
Kims Herz schlug höher. »Wie meinst du das?«
Flavius schüttelte den Kopf. Wieder begann er, hektisch auf der Tischplatte herumzuwischen. Dann warf er einen Blick zur Tür.
»Die meisten Gladiatoren werden zum Kämpfen verurteilt, weil sie ein Verbrechen begangen haben«, erklärte er dann. »Andere sind Sklaven, die zum Kampf gezwungen werden. Sie alle wissen, dass sie dem Tode geweiht sind und finden sich damit ab. Entsprechend unmotiviert gehen sie zur Sache. Eine Ausnahme bilden natürlich die wenigen Freiwilligen, die hoffen, berühmt zu werden.« Flavius machte eine kurze Pause, bevor er fortfuhr: »Doch Aurelius war anders. Er wollte leben, kein Gladiator sein.«
»Also war er kein Freiwilliger«, stellte Kim fest.
»Aurelius? Niemals, beim Jupiter!«
»Wurde er dazu verurteilt, in der Arena zu kämpfen? War er ein Verbrecher?«
Flavius’ Unterlippe begann zu zittern. »Nein, ein Verbrecher war er nicht … das habe ich nie glauben können. Und jetzt hör auf mit der Fragerei!«
»Nur noch eine Frage: Lebt Aurelius noch?«
Der Wirt blickte auf seinen blank gewischten Tresen. »Nein, auch er ist tot. Er war ein guter Gladiator, aber nicht gut genug. Und jetzt hör endlich auf zu fragen, wenn du am Leben bleiben willst. Nimm deine Freunde mit und geh!« Er schaute Kim direkt an. In seinen Augen war nicht nur Vorsicht oder leise Furcht zu sehen – es war Panik!
110
Auf dem Friedhof
»Vor was hatte Flavius solche Angst?«, rätselte Julian, als er mit seinen Gefährten zum Colosseum zurückging. Die Dämmerung war inzwischen über Rom hereingebrochen. Die ersten Fackeln erhellten düstere Plätze und Straßen, spendeten Licht und damit Sicherheit.
Leon zupfte an seinem Ohrläppchen. »Er scheint etwas zu wissen, was geheim ist … oder sehr gefährlich. Mit Aurelius hat etwas nicht gestimmt. Er war offenbar kein normaler Gladiator. Wir müssen jemanden finden, der noch mehr über ihn weiß.«
»Meinst du wirklich, das bringt uns weiter?«, fragte Kim. »Schließlich ist Aurelius tot. Lasst uns lieber die feinen Herren um Marcus im Auge behalten, wenn wir den Rächer finden wollen.«
»Natürlich«, sagte Julian schnell. »Aber die Sache mit Aurelius lässt mir keine Ruhe.«
»Mir auch nicht«, stimmte Leon ihm zu. »He, Kija! Hier geht es lang!«
Die Katze hatte die Kinder stehen lassen und strebte auf eine Gasse zu, die genau in der entgegengesetzten Richtung lag.
»Kija!«, rief Leon noch einmal, als die Katze nicht reagierte.
»Lass sie ruhig«, meinte Kim. »Du weißt doch, dass Kija ihren eigenen Kopf hat. Meistens hat sie ja ein gutes Gespür und vielleicht kann sie uns wieder weiterhelfen. Schließlich stecken wir in einer Sackgasse,
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