Die Zeitmaschine Karls des Großen (German Edition)
Augen, die vor Erschöpfung und vom allgegenwärtigen Wüstenstaub brannten. Er versuchte, wütend auf General Siegericus zu sein, doch es wollte ihm nicht gelingen. Der Imperator hatte den seines Kommandos enthobenen Siegericus seiner Erfahrung wegen ebenfalls zur Besprechung befohlen, und der General hatte jede Gelegenheit genutzt, um zu versuchen, Aventinius und seine Angst vor einer persischen List der Lächerlichkeit preiszugeben, um sich für die erlittene Demütigung zu rächen. Nicht dass die anderen Offiziere oder gar der Kaiser auf diese allzu offensichtlichen Versuche eingegangen wären. Aber zusammen mit der Ablehnung, die Aventinius für seine Beurteilung der Lage erfahren musste, hatten sie seine Nerven, die nach den endlosen Sorgen der vergangenen Tage an der Grenze ihrer Belastbarkeit angelangt waren, zu sehr strapaziert. Als das Treffen beendet war und alle Kommandeure das Zelt schon verlassen hatten, bat er den Imperator darum, den Befehl über den rechten Flügel wieder abgeben zu dürfen, da er es nicht verantworten könne, unter diesen Bedingungen die Truppen zu führen. Zu seiner Erleichterung hatte der Imperator verständnisvoll reagiert und ihn freigestellt. Der Kaiser bedauerte lediglich, wenn auch in versteckten Worten, dass er nun wieder General Siegericus das Kommando zurückgeben musste.
Er stand aus dem Stuhl auf, streckte sich kurz und ging hinüber zur Karte des Themas Palaestina, die in einen hölzernen Rahmen gespannt auf einem zusammenlegbaren Gestell stand.
Das Land, wo die Erlösung in die Welt kam, dachte er in einem plötzlichen Gedankensprung, der Boden, auf dem Christus der Herr ging … reduziert auf ein paar auf Papier gedruckte Linien. Und irgendwo zwischen diesen Linien wird sich entscheiden, ob dieses Heilige Land zum Ort des Unheils für die Christenheit wird … Was habt ihr vor, Perser? Was? Herr, wenn ich in Deinem Sinne handeln soll, dann sende mir einen Deiner Boten, um mir Klarheit zu geben!
Doch Aventinius hörte nichts weiter als die Rufe der Wachen in der Dunkelheit.
20
Trevera
Im Palast Karls
Einhard saß an seinem großen Schreibtisch, und vor ihm stapelten sich mit Notizen übersäte Papierbögen, vor allem aber Bücher, darunter alle, die sich in Larues Zeitmaschine befunden hatten. Obgleich er sie in den zurückliegenden Jahren oft durchgegangen war, hatte ihre Lektüre für den Oberkämmerer nichts von ihrer ursprünglichen Macht eingebüßt. Zu Anfang hatte die fremde Sprache, in der die Werke verfasst waren, ein unüberwindliches Hindernis dargestellt, dessen er nur Herr wurde, indem er mit Larues Hilfe eine Übersetzung ins Lateinische für jede Seite jedes Buches hatte anfertigen lassen. Auf diesem Wege in die Lage versetzt, die Texte zu verstehen, hatte sich für Einhard nach und nach das Panorama einer Welt bizarrer Fremdartigkeit erschlossen, deren Details ihm manchmal vertraut erschienen, in ihrer Gesamtheit jedoch ein Bild ergaben, das so unfassbar war, dass er gar nicht anders konnte, als davon gefesselt zu sein. Inzwischen hatte er die fremde Sprache, die sich Englisch nannte und dem Angelsächsischen entstammte, durch das ständige Vergleichen der lateinischen Fassungen mit den Originalen hinreichend gut erlernt, um weite Teile der Bücher auch ohne die Übersetzungen lesen zu können. Die Welt Karls des Großen, deren Bild hier vor ihm entstand, war erschreckend dunkel und barbarisch. Doch für ihn gab es keinen Zweifel, dass diese Beschreibungen ihm die Welt des Wahren Willens zeigten, die nach Seinem Plan Finsternis und Verfall hinter sich lassen würde. Die Wege des Herrn, das hielt Einhard sich wieder und wieder vor Augen, waren für die Menschen ein Mysterium, das man nicht in seinen Einzelheiten zu verstehen versuchen sollte, wollte man die Herrlichkeit des Ganzen erkennen.
Er betrachtete das Bild der kleinen Reiterstatuette Karls des Großen und fühlte sich ein wenig unwohl bei dem Gedanken, dass außer diesem Bildnis, gerade so groß wie ein Kinderspielzeug, und den groben Porträts auf einer Handvoll Münzen kein Zeugnis für das Aussehen eines Königs, der Europa beherrscht hatte, die Jahrhunderte hatte überdauern können. Die naturgetreuen Abbildungen in den Büchern, die Fotografien, übten auf den Oberkämmerer eine unbeschreibliche Faszination aus. Doch durch irrationale, unergründliche Assoziationen weckte ihr Anblick in ihm nagende Gefühle der Schuld, die sich immer öfter ihren Weg an die
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