Die Zeitmaschine Karls des Großen (German Edition)
ihr den Vorschlag zu unterbreiten. Dadurch, dass er sie verstoßen hatte, lag die Ehrlosigkeit bei ihm, und Desiderata war in ihre langobardische Heimat zurückgekehrt, wo man sie als das unschuldige Opfer seiner Willkür mit allem denkbaren Respekt behandelt hatte, den sie sonst auf ewig verloren hätte. Und dennoch war er für Monate in düsterster Schwermut versunken.
Was hast du jemals für mich getan, Gott? Du hast mir viermal das Herz aus dem Leib gerissen, mehr nicht. Ist das der Lohn für meinen Glauben? Du hast mir nur Schmerzen zugefügt, warum sollte ich dir jetzt einen Dienst erweisen?
Durch das offene Fenster war der Gesang einer Nachtigall zu hören, die sich irgendwo in den Palastgärten verborgen hielt. Karl bemerkte sie nicht, er kniff zornig den Mund zusammen und fragte sich, welchen Grund er haben sollte, dafür zu sorgen, dass die Geschichte ihren ursprünglichen Gang nehmen könnte.
Wer bin ich denn? Ein König über ein Volk von Bauern, an ein fremdes Reich gekettet. Soll das alles sein, was ich meinem Sohn hinterlassen kann? Und ich bin nicht mehr jung. Wie viel Zeit mit Luitgard wird mir noch bleiben? Wie gerne würde ich noch die Möglichkeit haben, ihr selbst das Diadem der Kaiserin auf den Kopf zu setzen, ich möchte ihr das Geschenk machen, die Erste aller Königinnen zu sein, dass sie mehr sein kann, als nur eine junge Frau an der Seite eines alten Mannes. Hast du das gehört, Gott? Ich werde dich jetzt dafür bestrafen, dass du mir so viel Leid zugefügt hast! Die Welt, die du wolltest, wird niemals sein, aber ich werde dafür der schönsten aller Frauen den Purpur um die Schultern legen und meinem Sohn ein Imperium vererben. Dein Wille geschehe nicht!
»Dein Wille geschehe nicht!«, sagte er mit Entschlossenheit.
»Karl?« Luitgard schlug schläfrig die Augen auf. »Was ist denn?«
Er strich ihr sanft über die Wange. »Nichts … gar nichts. Schlaf ruhig weiter. Ich stehe nur schon auf, denn ich habe etwas Wichtiges zu erledigen.«
Sie schloss die Augen wieder und war beinahe sofort wieder eingeschlafen.
Karl erhob sich vorsichtig aus dem prunkvollen Bett und ging schnell, aber lautlos hinüber zur Tür.
Die Nachtigall war verstummt.
Stattdessen war aus einem Baum nahe beim Fenster jetzt eine Amsel zu hören, die in Erwartung des nahenden Tages ihren flötenden Gesang erklingen ließ.
»Mein König, ich beglückwünsche Euch zu Eurer Entscheidung.«
Wibodus stand dem König gegenüber im Audienzraum, der von einigen Kerzen spärlich erhellt wurde. Sein Gesicht wurde nur von einer Seite beleuchtet, wodurch die wulstige Narbe einen welligen Schatten warf und seinen Zügen ein dämonisches Aussehen verlieh.
»Wartet mit Euren Glückwünschen, bis Ihr in Rom seid, General«, erwiderte Karl.
»Verzeiht, Majestät. Der lang ersehnte Triumph über Einhard lässt mich vorschnell reden.«
»Ihr müsst den Oberkämmerer wirklich sehr hassen, Wibodus.«
»Hassen, Majestät?« Die buschigen Augenbrauen des Generals zogen sich zusammen. »Das ist gar kein Ausdruck. Es gibt kein Unglück, das ich ihm nicht wünsche, er hat mich zu oft erniedrigt. Als ich vor fünf Jahren den Aufstand in Burgund niederschlug und mich ein Schwertstreich fast eines Auges beraubt hätte, wo war er da? Hinter seinem Schreibtisch saß er, zwischen seinen Büchern, und nahm sich die Frechheit heraus, ganze Kübel hämischer Kritik über meine militärischen Fähigkeiten auszugießen. Jedes Mal, wenn mich in Vollmondnächten die höllischen Schmerzen in der Narbe gequält haben, hatte ich nur einen Gedanken: Einhard gedemütigt zu sehen, bei seinem tiefen Sturz dabei zu sein und zu lachen.«
Karl setzte den Rachephantasien des Generals mit einer Handbewegung ein Ende.
»Nichts dergleichen wird geschehen, Wibodus. Wenn Ihr mir erst Rom erobert habt, werde ich Einhard mehr brauchen als je zuvor. Wer wird mir helfen, die unendlich schwierigen Aufgaben erfüllen zu können, die sich mir dann stellen? Wer soll das gewaltige Reich für mich verwalten, wenn nicht Einhard? Nein, Wibodus, der Oberkämmerer wird nicht stürzen, ganz im Gegenteil. Und Euch verbiete ich strengstens, ihn in irgendeiner Weise zu erniedrigen, wenn ich ihm meinen Entschluss mitteile.«
Die nachdrücklichen Worte des Königs versetzten Wibodus einen Stich, und er fühlte, wie ein Brennen durch seine Narbe pulsierte. Sein Triumph würde ohne die Vernichtung Einhards unvollkommen bleiben, und Karl hatte keinen Zweifel daran gelassen,
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