Die Zeitmaschine Karls des Großen (German Edition)
blickte den Oströmer ungnädig an und fluchte innerlich über das notorische Misstrauen der Griechen. Doch Sheila antwortete ohne ein Anzeichen der Verärgerung: »Ich kann es Euch nicht beweisen. Ihr habt nichts als mein Wort, dass ich die Wahrheit sage. Aber ich bitte Euch, mir zu vertrauen, denn dies ist der Moment, den ich vier Jahre lang herbeigesehnt habe. Ich will Rache nehmen an Meh-Adhar, der meinem Vater sein Reich entrissen hat. An Shahinshah Hormuzan, der den Befehl dazu gab und später meinen Vater hat ermorden lassen. Und an seinem Sohn – für die schlimmsten aller Demütigungen. Ich verfluche ganz Persien in Shivas Namen und habe keinen größeren Wunsch, als dass ihr seinen Hochmut mit dem Schwert zerbrecht und es erniedrigt.«
Wieder hatten die Worte der Inderin eine vollkommene Stille zu Folge. Rufus Scorpio war anzusehen, dass er mit sich rang. Sollte er das Wagnis eingehen, das Schicksal seines Heeres, ja des gesamten Imperium Orientalis von den Behauptungen einer Fremden abhängig zu machen? Niemand wagte es, sich zu regen. Endlich durchbrach der Kaiser den Wall unschlüssigen Schweigens und bat Scheich ben Omar zu sich. Der Araberfürst trat heran und verneigte sich würdevoll.
»Scheich, wenn uns die Prinzessin alles mitgeteilt hat, was sie uns über die Pläne der Perser und den Zustand ihrer Armee sagen kann, wünsche ich, dass sie in Sicherheit gebracht wird. Ich bitte Euch, dass Ihr fünfzig Eurer Männer auswählt, die sie nach Caesarea Maritima eskortieren.«
»Die zuverlässigsten Reiter werden sie sicher dorthin begleiten, basileos. Es wird geschehen, wie Ihr befehlt.«
Wieder zu Sheila gewandt, sagte der Imperator: »Prinzessin, ohne Eure Warnung wären wir in unser Verderben gelaufen. Wie können wir Euch je danken?«
Die schwarzen Augen der Inderin schienen zu glühen. »Indem Ihr Perser tötet«, antwortete sie.
28
Trevera
Im Palast Karls
Die Nacht lag schwül über der fränkischen Hauptstadt, schwer und lähmend. Die Luft, nicht vom leisesten Windhauch bewegt, schien in unendlicher Anspannung erstarrt zu sein.
Karl lag neben seiner tief schlafenden Gemahlin wach im Bett und starrte aus dem weit geöffneten Fenster auf den schwarzen Himmel mit den unzähligen flirrenden Sternen. Er fand keinen Schlaf, schon seit Tagen nicht. Aber nicht die drückende Wärme war schuld daran, sondern der Kampf, der in seiner Seele wütete, ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. Er rang mit sich selbst, hoffte auf einen Fingerzeig, um dann doch erkennen zu müssen, dass er sich völlig allein dieser Entscheidung gegenübersah. Er musste wählen, welchen Weg er gehen wollte. Und je länger er nachdachte, desto quälender erschien ihm dieser Zwang.
Einhard oder Wibodus, dachte er, auf welchen von beiden soll ich hören? Auf den Soldaten, der mir ein Kaiserreich erringen kann? Oder auf den Mönch, der mich als Vollstrecker göttlichen Willens sehen will? Folge ich Einhard, dann ist der Erfolg ungewiss. Wenn er recht behält, erfülle ich den göttlichen Plan für die Welt. Entscheide ich mich für Wibodus, würden mir die Würde und die Macht zukommen, die mir nach Seinem Willen zugedacht waren. Aber was, wenn ich dadurch einen Fluch auf mich lade, so furchtbar, dass dagegen die ägyptischen Plagen verblassen? Was soll ich nur tun? Was?
Er dreht den Kopf ein wenig und betrachtete Luitgard. Sie lag ruhig schlafend neben ihm, nur halb zugedeckt mit dem dünnen Seidenlaken, unter dem sich ihr Körper abzeichnete. Die langen rotbraunen Haare breiteten sich wie ein dunkel glänzender See um ihren Kopf herum auf dem Kissen aus. Er hatte sie erst vor wenigen Jahren geheiratet, sie war seine fünfte Frau. Himiltrud, Hildegard, Fastrada, sie alle waren in jungen Jahren gestorben. Und Karl, der jede von ihnen beinahe abgöttisch geliebt hatte, war mit jedem Verlust verbitterter zurückgeblieben. Und seine zweite Ehefrau, die Langobardenprinzessin Desiderata, hatte er verstoßen müssen. Müssen, denn er hatte auch sie unendlich geliebt. Aber die Ärzte hatten festgestellt, dass sie niemals Kinder haben könnte, und Karl brauchte einen Thronfolger. Karl hätte alles darum gegeben, hätte er sie bei sich behalten können. Doch der einzige Weg wäre gewesen, sie nach Auflösung der Ehe zu seiner Geliebten zu machen. Er hatte es nicht über sich gebracht, ihr das anzutun und sie in den Augen der Welt zu einer Konkubine, einer Königshure zu machen. Ja, er hatte es nicht einmal gewagt,
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