Die Zeitmaschine Karls des Großen (German Edition)
dass er die Rachegelüste des Generals nicht zu erfüllen gedachte.
Die große, bronzene Doppeltür wurde geöffnet, und Einhard trat ein. Er hatte bereits geahnt, dass es kein angenehmer Anlass sein konnte, aus dem der König ihn mitten in der Nacht herbeizitierte; und seine Befürchtungen verdichteten sich zur Gewissheit, als er beim Betreten des Saals Wibodus sah.
»Ihr habt nach mir verlangt, mein König?«, fragte er mit einer angedeuteten Verbeugung. Den General ignorierte er dabei, als sei sein Gegenspieler überhaupt nicht anwesend.
»Das habe ich, Einhard. Ich will Euch mitteilen, dass ich einen wichtigen Entschluss gefasst habe. General Wibodus wird so bald wie möglich den Feldzug gegen das Imperium beginnen.«
Einhard nahm die Entscheidung des Königs mit Gelassenheit hin, denn schließlich hatte er sich auf diesen Moment bereits seit geraumer Zeit eingestellt; die Frage war nur gewesen, wann er kommen würde.
»Ferner habe ich beschlossen«, fuhr Karl fort, »dass die Scara ab sofort dem Befehl des Generals unterstellt ist, einschließlich der dragonarii. Eure persönliche Leibwache bleibt davon selbstverständlich ausgenommen, Einhard.«
Diese knappe Äußerung traf den Mönch wie ein Fausthieb. Mit einem Schlag war er des einzigen Mittels beraubt worden, mit dem er noch Einfluss auf die Kriegspläne hätte nehmen können. Der König nahm ihm alle Werkzeuge aus der Hand, und Einhard musste sich nicht anstrengen, um Wibodus’ Handschrift darin zu erkennen. Aus den Augenwinkeln konnte er sehen, wie sich auf den grimmig zusammengepressten Lippen des Generals ein kaum wahrnehmbares Grinsen der Befriedigung abzeichnete.
»Wann werdet Ihr die Grenze zum Imperium überschreiten können?«, fragte Karl, nun an seinen Feldherrn gewandt.
»Majestät, in sechs Wochen.«
»Das ist völlig unmöglich«, unterbrach ihn Einhard, »so schnell können die Fußtruppen nicht bereitstehen. Sie sind in ganz Sachsen verstreut und müssten erst gesammelt werden, bevor sie sich südwärts in Marsch setzen könnten. Das würde gewiss einen Monat dauern, und danach bräuchten sie für den Marsch von Köln bis hinunter nach Basel noch einmal mindestens fünf oder sechs Wochen.«
Mit der Verachtung des Soldaten gegenüber einem Zivilisten entgegnete Wibodus: »Unfug, Oberkämmerer. Ich benötige die Fußtruppen für den Sieg nicht. Unsere dragonarii und Panzerreiter reichen völlig aus. Ihre Wirkung auf den Feind wird vernichtend sein, und sie kommen auf ihren Pferden rasch voran. Ich werde auch durch die Schnelligkeit meines Vormarsches erfolgreich sein, die Infanterie wäre dabei nur ein Klotz am Bein. Ich benötige sie nur, um später das Eroberte dauerhaft zu besetzen, und dafür reicht es, wenn sie später eintreffen.«
Einhard schüttelte den Kopf leicht, sagte aber nichts mehr. Seine Gedanken kreisten bereits um für ihn weitaus wichtigere Dinge.
»Nun gut«, meinte der König, »es ist also entschieden. Wir werden in den nächsten Tagen die Herzöge des Reiches informieren. Folgt mir, General Wibodus, ich lasse Euch sofort die nötigen Vollmachten als Befehlshaber der Scara ausstellen. Einhard, mit Euch werde ich später am Tag über die Pläne für die Zukunft sprechen. Es wird viel für Euch zu tun geben, wenn ich auch das Römerreich Eurer Obhut überantworte.«
Der Oberkämmerer verbeugte sich, und der König verließ mit Wibodus den Audienzraum.
Einhard blieb alleine zurück und dachte nach. Der König hatte ihm seine Leibgarde gelassen; das würde ihm bei der Verwirklichung eines Vorhabens helfen, das er schon lange im Hinterkopf gehabt, jedoch nie zu Ende zu denken gewagt hatte. Doch nun, da der Wahre Wille in großer Gefahr war, zwang er sich, seine Skrupel zu vergessen. Er musste sündigen, um die ihm durch den Herrn auferlegten Verpflichtungen erfüllen zu können, ein anderer Weg blieb ihm nicht mehr. Gleich nach der Versammlung der Herzöge würde er auf sein Landgut fahren, das sein Neffe Theodulf verwaltete. Es lag in Aquitanien, südlich von Toulouse, nahe der Grenze zur römischen Provinz Septimanien.
29
Massada
Schon lange vor Sonnenaufgang hatte General Meh-Adhar damit begonnen, die Einheiten seines Heeres an den ihnen zugewiesenen Positionen zu formieren. Es hatte einige Mühe erfordert, mit den schwerfälligen Menschenmassen auf so begrenztem Raum die komplizierten Manöver durchzuführen, dazu noch in der Dunkelheit, die selbst von den vielen Feuern nicht
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