Die Zeitmaschine Karls des Großen (German Edition)
ziemlich bescheiden mit seinen roh gezimmerten Wänden aus dicken, kaum bearbeiteten Bohlen und den zwei klobigen Bettgestellen, deren mächtige Eichenholzpfosten mit fremdartigen Rankenmustern verziert waren. Es gab nur ein einziges Fenster, weder von Glas noch von Pergament verschlossen. Wenn man die Fensterläden schloss, war es dunkel im Zimmer und die schwüle Hitze wurde grausam. Aber es war immer noch besser als sämtliche zur Wahl stehenden Alternativen.
»Also schön«, sagte Andreas und ließ sich müde in den vielfach geflickten, unförmigen Strohsack fallen, der als Matratze diente, »da wären wir. Nun müssen wir darüber nachdenken, wie wir Genaueres über die Priester der Siwa und ihre Fähigkeiten in Erfahrung bringen können.«
Franklin Vincent stellte die Satteltaschen neben seinem Bett ab und meinte dabei: »Ich könnte mir vorstellen, dass die Abotriten bei solchen Dingen ziemlich verschwiegen sind. Und überhaupt wird nicht jeder, dem wir hier auf der Straße begegnen, etwas darüber wissen. Wenn wir jemanden finden wollen, der uns weiterhelfen kann, dann müssen wir es zuerst in der Burg versuchen. Es wird ja in der Residenz des Herrschers wohl irgendwen geben, der davon Ahnung hat.«
Er legte sich auf das Bett, streckte die Beine aus und fügte dann hinzu:
»Das heißt natürlich, falls wir nicht einem Hirngespinst nachjagen.« Franklin schloss die Augen und war beinahe sofort eingeschlafen.
Andreas blieb wach liegen und starrte in Gedanken versunken ins Leere, während es langsam Nacht wurde.
Was tun wir hier eigentlich?, fragte er sich. Das Imperium steht vielleicht vor einem Krieg gegen die Franken, und mir fällt nichts Besseres ein, als nach slawischen Priestern Ausschau zu halten. Priester, von deren angeblichen Fähigkeiten wir nur durch das indirekte Zeugnis Einhards über die Aussagen eines sächsischen Zauberers wissen. Und wenn es sie nun gar nicht gibt? Wenn dieser unbekannte Sachse einfach nur gelogen hat? Oh, ich darf gar nicht daran denken. Und dann immer Franklins Zweifel … er macht keinen Hehl daraus, dass er nicht an die Existenz der Magie glaubt. Wenn ich ihm doch nur das Gegenteil beweisen könnte … seine Zweifel sind ja fast ansteckend. Ich beginne bald selber zu glauben, dass Zauberei nichts als Fiktion und Schwindel ist … Hoffentlich hat Marcellus nach Erhalt meiner Nachricht Vorkehrungen getroffen, dann müsste ich mir wenigstens keine Sorgen machen, dass Karl sich für den Krieg entscheiden könnte und Rom davon völlig überrascht wäre. Und wenn ich nur wüsste, wie es Claudia geht. Himmel, ich vermisse sie so … was gäbe ich drum, jetzt bei ihr zu sein, statt an diesem von Gott verdammten Ort …
Irgendwann nach Mitternacht schließlich trug die Müdigkeit den Sieg über den aufgewühlten Geist davon. Ohne es zu merken, glitt Andreas in den Schlaf, und seine Gedanken verwandelten sich in flüchtige Traumbilder, substanzlos und entrückt.
Andreas schaute sich um. Die seltsam grüne Wiese erstreckte sich um ihn herum bis zum Horizont, und über seinem Kopf wölbte sich ein Himmel von falschem Blau, der bedrohlich tief zu hängen schien und zugleich unendlich weit entfernt war.
Ich träume, dachte er und war dabei erstaunt, dass er es mit solcher Klarheit wusste.
Neben einem grotesk verformten Baum, dessen Zweige unentwirrbar verflochten in die Höhe ragten, stand eine Gestalt. Zunächst war sie noch undeutlich, als hinge ein dünner Schleier vor ihr, aber als Andreas sich auf sie konzentrierte, begannen ihre Konturen fester zu werden. Der Schleier löste sich auf, und Gisela wurde sichtbar. Andreas erkannte sie sofort wieder, doch jetzt trug sie nicht das schlichte Kleid, in dem er sie in Erinnerung hatte, sondern ein langes weißes Gewand mit einem breiten, von verschlungenen goldenen Ornamenten bedeckten Gürtel. Ihr Gesicht war offen, zugleich aber auch ernst, fast traurig. Er spürte, dass sie erschienen war, um ihm eine schlechte Botschaft zu überbringen.
»Gisela«, sagte er und erschrak ein wenig über den flachen, leblosen Klang seiner Stimme, »was ist geschehen? Was wollt Ihr mir mitteilen?«
Sie neigte langsam den Kopf und antwortete bedrückt: »Du folgst einem Irrweg, Andreas. Aber es ist nicht deine Schuld, du konntest es nicht wissen.«
»Einem Irrweg? Wie meint Ihr das? Gibt es etwa keine Priester, die uns helfen könnten? Oder werden wir sie nicht finden? So helft mir doch, Gisela.«
Aber noch ehe er zu Ende gesprochen
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