Die Zeitmaschine Karls des Großen (German Edition)
hatte, war die Weise Frau verschwunden. Andreas sah um sich, doch um ihn herum war nichts als die Angst einflößende Bewegungslosigkeit seiner Traumwelt.
Dann plötzlich trat ein Mann hinter einem der Bäume hervor. Er war außergewöhnlich groß gewachsen und höchst merkwürdig gekleidet in enge, dunkle Hosen und ein offenes schwarzes Wams, unter dem er eine Art weißer Tunika trug; auf seinem Kopf saß ein dunkler runder Hut mit schmaler Krempe. Mit todernster Miene schritt er voran, wobei er die langen Beine in bizarrer Weise hochwarf und verdrehte. Er schien es eilig zu haben, und dennoch bewegte er sich auf diese befremdliche Weise fort.
Andreas wusste nicht, wer dieser Mann war oder was er darstellen sollte. Aber es war niemand anderer anwesend, und wenn er Antworten suchte, gab es sonst keinen, dem er seine Fragen hätte stellen können. Er überwand sich und ging auf den Fremden zu.
»Verzeiht mir … könnt Ihr mir behilflich sein?«
Ohne stehen zu bleiben oder Andreas auch nur das Gesicht zuzuwenden, antwortete der Mann: »Ich bedauere, aber ich habe keine Zeit zu verlieren. Ich werde im Ministerium für albernes Gehen erwartet. Guten Tag, Sir.«
»Ich verstehe nicht, was Ihr meint. Bitte, nur einen Augenblick. Könnt Ihr mir denn nicht sagen …«
»Keinesfalls, Sir«, erwiderte der Unbekannte. »Sehen Sie, es wird alles sein. Zitronencurry und Spam. Die majestätische Lärche und das Lied des Holzfällers. Das und nichts anderes. Ich möchte Sie bitten, mich nicht weiter zu belästigen.«
»Bitte wartet doch! Ihr müsst mir das erklären! Ich bin …«
»Nun, da Sie offensichtlich nicht gewillt sind, mich in Ruhe zu lassen, sehe ich mich leider gezwungen, Ihnen ein Fünfzig-Tonnen-Gewicht auf den Kopf fallen zu lassen«, sagte der Mann. Andreas wollte noch nach dem Sinn dieser Worte fragen, aber da verdüsterte es sich auf einmal um ihn herum und ein Knall dröhnte in seinen Ohren.
Andreas schreckte aus dem Schlaf auf. Grellweißes Licht durchflutete für einen kurzen Augenblick das Zimmer, dann wurde es sofort wieder dunkel. Über Liubice entlud sich ein Gewitter, ohne dass ein einziger Tropfen Regen fiel; Blitze zuckten aus dem Nichts kommend über den wolkenlosen Nachthimmel und tosender Donner krachte.
Er setzte sich im Bett auf und dachte über den merkwürdigen, verwirrenden Traum nach, den er sich schon jetzt nur noch in Fragmenten ins Gedächtnis rufen konnte. Und von diesen Bruchstücken verstand er keines, verspürte aber dennoch ein Gefühl tiefer Beunruhigung. War es wirklich eine Warnung? Ein Hinweis, dass die Suche nach den Priestern vergeblich sein würde?
Ein weiterer Blitz erleuchtete den Raum. Andreas konnte für einen Moment Franklin sehen, der auf seinem Bett lag und tief und fest schlief. Dieser Anblick ließ ihn grübeln, wieso offenbar nur er diesen warnenden Traum gehabt hatte und der Zeitreisende nicht, obwohl Franklin doch von einem Fehlschlag mindestens ebenso sehr betroffen wäre, wahrscheinlich sogar noch stärker. Dann aber sagte er sich, dass eine gewisse Logik darin lag, denn schließlich kam Franklin aus einer Welt, die der Magie verlustig gegangen war. Und möglicherweise war es Menschen, die nicht an die Macht der Träume glaubten, versagt, derartige Visionen zu empfangen.
Allen Sorgen, die ihn bewegten, und dem lautstark aufgewühlten Himmel zum Trotz gewann in Andreas bald wieder die übermächtige Müdigkeit die Oberhand. Er schloss die Augenlider und sank in einen schweren, traumlosen Schlaf.
»Das Gewitter der vergangenen Nacht war ein böses Omen«, sagte Radomir, der Wirt, in verständlichem, wenn auch sehr fremdartig gesprochenem Latein, als er Andreas und Franklin die Schalen mit dampfendem Haferbrei und die mit dünnem Bier gefüllten Krüge auf den roh gezimmerten Tisch in der Gaststube stellte. »Radegast ist zornig. Sicher wartet großes Unheil auf uns.«
»Wie kommt Ihr darauf, dass ein Unglück bevorsteht?«, fragte Franklin und nahm einen Schluck Bier.
Der kleine, bärtige Wirt runzelte die Stirn und sagte dramatisch: »Es sind viele Zeichen beobachtet worden in letzter Zeit. In Pugetse, so sagt man, wurde ein Kalb mit zwei Köpfen und sechs Beinen geboren. Und in den Sümpfen bei Starigard glühen seit Wochen nachts irrende Lichter. Am schlimmsten aber ist, dass die Priester der Göttin Siwa sich in Schweigen hüllen.«
Die Erwähnung der Priester ließ den Zeitreisenden und den Ostgoten aufhorchen. »Was Ihr da sagt,
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