Die Zeitmaschine Karls des Großen (German Edition)
ungreifbar und gerade deshalb so dämonisch.
Sie durchritten das zerfallene Stadttor. Die Via Silua lag wie ausgestorben, und die Geräusche der Hufe auf dem Pflaster hallten gespenstisch flach von den Mauern der Häuser wider. Spuren der Verwüstung waren überall sichtbar und häuften sich, je näher sie der Mitte der Stadt kamen. Die Scherben zertrümmerter Fenster bedeckten vielerorts die Straße, vor geplünderten Geschäften lagen die Waren zertreten im Schmutz, manche Haustür war aufgebrochen. Hinzu kam das nagende Gefühl, beobachtet zu werden.
Franklin und Andreas erreichten das Forum, und hier waren die Anzeichen, die einen Aufstand oder Unruhen vermuten ließen, am stärksten und eindeutigsten. Der Platz war übersät mit zerbrochenen Fässern, zerschlagenen Marktständen und den Bruchstücken zertrümmerter Amphoren. Ein in der Sonne verwesender Pferdekadaver lag unter einer wimmelnden, schwarzen Wolke laut brummender Schmeißfliegen. Vor der Basilika lagen Schriftstücke und die Seiten zerfetzter Bücher auf dem Boden verteilt. Und das Panorama der Zerstörung wurde überragt von der ausgebrannten Ruine der nicaeischen Kirche, die als rußgeschwärzter Torso in der Mitte des Forums stand wie ein dunkler, drohender Schatten. Ihr Dach war eingefallen, das Kreuz war vom Giebel hinuntergestürzt und lag zerbrochen auf den Stufen zum Eingang.
»Verflucht, was ist denn hier los gewesen? Das sieht ja aus wie nach einem Bürgerkrieg!«, sagte Franklin.
Es dauerte einen Moment, bis Andreas antworten konnte. Er machte nicht einmal den Versuch zu verbergen, wie sehr ihn dieser Anblick schockierte, als er stockend sagte: »Marcellus Sator hat es geahnt … das ist das Werk der Franken, ich bin mir sicher. Ihr Vorgehen gegen die Arianer hat Unfrieden im Imperium gestiftet … und wenn es schon hier so furchtbar aussieht … oh Gott!«
Franklin blickte sich unruhig um. »Das schmeckt mir nicht, ganz und gar nicht. Wir sollten, so schnell es irgendwie geht, von hier verschwinden.«
»Aber ich muss doch wissen, was genau geschehen ist.«
»Dann fragst du in der Festung. Aber ich will aus dieser Stadt raus. Am Ende werden wir hier noch hinterrücks erschlagen, von einem brüllenden Mob zu Tode geprügelt oder mit Dachziegeln beworfen, das ist mir einfach zu riskant.«
Franklin wendete das Pferd und ritt zurück in Richtung des Stadttores.
Andreas ließ noch einmal die Augen über das Forum wandern. Beim Anblick der schwarzen Ruine musste er daran denken, wie er in Trevera den Brand der arianischen Kirche miterlebt hatte. Damals war er sich sicher gewesen, Zeuge von Ereignissen zu sein, die nur bei einem noch immer halbbarbarischen Volk möglich sein konnten. Traurig musste er nun erkennen, dass er sich geirrt hatte. Auch hier hatte ein Gotteshaus gebrannt. Der dünne Putz der Toleranz und Zivilisation war abgebröckelt.
Andreas zog an den Zügeln, riss sein Pferd herum und folgte Franklin, der in einiger Entfernung ungeduldig wartete.
Erst nachdem die Posten hinter den Zinnen der Mauer sich vergewissert hatten, dass die beiden Reiter tatsächlich alleine waren, öffnete sich mit lang gezogenem Knarren das Tor aus schwerem Eichenholz, und Andreas und Franklin konnten in das Kastell hineinreiten. Die Torwachen betrachteten die Fremden mit unverhülltem Argwohn und grimmig verschlossenen Gesichtern. Andreas fiel sofort auf, dass es keine Männer der Legion Hispania Felix waren, wie er sie im April in der Stadt angetroffen hatte, sondern Soldaten der auxiliarii. Ihre Uniformen mit den leichten ledernen Brustpanzern und den germanischen Hosen waren so verschieden von der Kleidung der Legionäre, dass ein Irrtum ausgeschlossen war. Andreas äußerte den Wunsch, den Kommandanten zu sprechen, und ein Soldat mit hart rollendem westgotischen Akzent forderte die beiden Männer wortkarg auf, ihm zu folgen.
Sie durchquertem das Lager auf der zu beiden Seiten von Baracken gesäumten Via Principalis. Andreas erschien die Festung nahezu ausgestorben, kaum ein Mensch war zu sehen. Sie erreichten das Praetorium in der Mitte der Festung, einen schlichten Bau, vor dessen von Säulen flankierten Eingang zwei Wachen standen.
»Wartet hier«, sagte der Westgote und verschwand im Gebäude. Andreas und Franklin ließ er im Freien zurück, unter den unangenehm stechenden Blicken der beiden Soldaten. Endlich, nach schier endlos langen Minuten, kam er wieder zurück und teilte mit, dass der Centurio willens sei, sie zu
Weitere Kostenlose Bücher