Die Zeitmaschine Karls des Großen (German Edition)
empfangen. Er führte sie in das Praetorium, durch einen einfachen Innenhof und einen Vorraum, wo für gewöhnlich die Feldzeichen der hier stationierten Halbkohorte standen. Nun aber war der schmiedeeiserne Halter in Form verschlungener Blumenranken leer, abgesehen von einer wenig eindrucksvollen Standarte, auf deren schlichtem Tuch nichts weiter eingestickt war als die Bezeichnung der momentan anwesenden Auxiliareinheit, bürokratisch exakt, knapp und trocken:
HISP PROV AUX TURMA II BANDA IIII CENT III.
Sie erreichten das Büro des Kommandanten, der Soldat öffnete die Tür und bedeutete Franklin und Andreas mit einer Geste einzutreten. Der Raum, in den sie kamen, war so anspruchslos eingerichtet, wie es der geringen Bedeutung dieses Stützpunkts entsprach. Die Wände waren einfach verputzt und abgesehen von einem kunstlos in Rot und Blau gemalten Rankenmuster unterhalb der Decke unverziert. Eine Reihe von Regalen war angefüllt mit aufgeschichteten Schriftrollen und Büchern, an einer Wand hing eine große Pergamentkarte der Provinz Raetien. Der Centurio saß an seinem Schreibtisch vor dem Fenster und war gerade damit beschäftigt, einen Brief zu schreiben. Beim Anblick seiner Besucher legte er die Feder fort, schob das Papier beiseite und stand zur Begrüßung auf.
»Seid mir willkommen«, sagte er und wies auf die vor dem Schreibtisch stehenden Faltsessel. »Ich bin Centurio Probus Agila. Ich hoffe sehr, das doch recht schroffe Verhalten meiner Männer hat Euch nicht verärgert.«
Andreas sah dem überschlanken, nicht mehr jungen Mann in der roten Offizierstunika auf den ersten Blick an, dass er seit Tagen keinen erholsamen Schlaf mehr gefunden haben konnte. In das Gesicht hatten sich Falten tief eingegraben und zeugten von Müdigkeit und Sorgen, unter den geröteten Augen lagen dunkle Schatten.
»Wir danken Euch, dass Ihr uns empfangt, Centurio«, antwortete Andreas. »Das ist … hm, Franklinus Vincentius, und ich bin Andreas Sigurdius. Sagt, was ist hier nur vorgefallen? Wir haben uns lange Zeit im Frankenreich aufgehalten und waren nun beim Anblick der Verwüstungen in der Stadt völlig überrascht.«
Probus Agila ließ sich wieder in seinen Stuhl sinken und seufzte kaum hörbar. »Religiöse Unruhen sind ausgebrochen. Es haben Kämpfe zwischen den Arianern und den Nicaeern stattgefunden. Und nicht nur hier, auch in anderen Städten.«
Dann berichtete er, wie vor etlichen Wochen Nachrichten aus dem Frankenreich gekommen seien, dass der König dort den Arianismus zur Häresie erklärt habe, dass die Arianer verfolgt werden und mit schweren Strafen zu rechnen haben, wenn sie sich der nicaeischen Zwangstaufe widersetzen. Im Senat in Rom war es daraufhin zu erbitterten Wortgefechten gekommen. Die arianischen Senatoren waren empört gewesen, dass der Herrscher eines mit Westrom verbündeten Reiches es wagte, brutal gegen den Arianismus vorzugehen, dem beinahe die Hälfte der Römer anhingen; sie hatten ein Eingreifen gefordert, um Karl in seine Schranken zu weisen. Die Vertreter der lateinischen Partei hingegen hatten darauf verwiesen, dass es unklug wäre, Karl durch Drohungen zu provozieren, solange die Legionen auf Feldzug im Osten waren, und dass sie im Übrigen nicht die Absicht hätten, für den Glauben anderer Leib und Leben nicaeischer Römer zu riskieren. Die Auseinandersetzungen waren rasch auf die Bevölkerung übergegriffen und hatte sie in kürzester Zeit in zwei große Lager mit unvereinbaren Ansichten getrennt. Von den gegenseitigen Vorwürfen war es dann nur ein kleiner Schritt gewesen zu Beschimpfungen, Beleidigungen und Verleumdungen. Und bald waren Gegensätze und Feindschaften wieder hervorgebrochen, die man längst überwunden und vergessen geglaubt hatte.
Arianer wurden als Christusleugner bezeichnet, als Häretiker, die den Erlöser lästerten und das Imperium mit ihrer Irrlehre zu vergiften versuchten; die Nicaeer mussten sich Götzenanbeter und verkappte Heiden nennen lassen. Ein einziger Funke wäre in dieser Situation ausreichend gewesen, um einen Flächenbrand zu entfachen. Und dieser Funke war aufgeflammt, als in Ravenna der arianische Bischof beim Gastmahl im Hause eines nicaeischen Beamten verstorben war. Ungeachtet der Tatsache, dass der schon hochbetagte Bischof mit Gewissheit eines natürlichen Todes gestorben war, hatte sich wie ein Lauffeuer das Gerücht verbreitet, er sei ermordet worden. Aufgebrachte Arianer hatten daraufhin mehrere nicaeische Kirchen in der Stadt in
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