Die Zeitmaschine Karls des Großen (German Edition)
den eisblauen Augen verriet auch, dass er jedes Gewächs, das in seinem Garten keinen Platz hatte, unbarmherzig ausreißen würde.
Ein rasch näher kommendes Knirschen von Schritten auf dem Kies ließ darauf schließen, dass sich jemand mit großer Eile näherte. Hormuzan runzelte ärgerlich die Stirn. Er liebte es nicht, in seinen Gärten durch hektisches Treiben belästigt zu werden. Wer immer es wagte, schnellen Schrittes den Park des Palastes zu durchmessen, würde für dieses respektlose Tun bestraft werden.
Der Shahinshah blickte erstaunt auf. Hinter einem kunstvoll beschnittenen Busch trat ein staubbedeckter Mann in verkommener Kleidung hervor, das schmutzige, abgezehrte Gesicht von der Sonne gerötet und von einem struppigen Bart bedeckt.
»Welcher Bettler erdreistet sich, in die Gärten des Großkönigs einzudringen!«, sagte Hormuzan zornig. »Wer immer du bist …« Er hielt inne. Plötzlich erkannte er, wer diese abstoßende Gestalt war, die da vor ihm stand. Es war sein eigener Sohn, Prinz Ardashir.
Hormuzan wusste sofort, dass er keine guten Neuigkeiten bringen konnte, denn sein Äußeres war nicht das eines im Triumph heimkehrenden Siegers.
Ardashir fiel auf die Knie und begrüßte seinen Vater, wie es der Brauch verlangte, seine Stimme klang vertrocknet: »Mein Vater, mächtiger Shahinshah Hormuzan, der Ihr von Ahura–«
»Schweig!«, sagte Hormuzan laut und streng. »Was hat dieser Auftritt zu bedeuten? Was ist geschehen, dass du in diesem Zustand hier erscheinst?«
Ardashirs Stimme zitterte, als er stotternd antwortete: »Mein Vater … es ist … Euer Heer ist geschlagen worden, und …«
»Geschlagen?« Das Blut drängte mit solcher Macht in den Kopf des Shahinshah, dass die Adern an seinen Schläfen anschwollen. »Wie war das möglich? Wo ist Meh-Adhar? Ich will ihn sofort sprechen!«
»Mein gnädiger Vater«, sagte der Prinz mit furchtsamer Unterwürfigkeit, »Meh-Adhar trägt die Schuld an der Niederlage. Er hatte sich geweigert, meine Befehle auszuführen, und durch diesen Verrat ging die Schlacht verloren. Deshalb habe ich ihn eigenhändig getötet.«
Hormuzan stockte der Atem. Das Blut pulsierte unter seiner Haut und färbte das Gesicht dunkelrot.
»Was hast du?«, schrie er. »Ihn getötet? Weil er deine Befehle nicht ausführen wollte? Du elender Schwachsinniger, du Wurm, widerlicher …«
Er verstummte abrupt. Sein Gesicht verzerrte sich wie im Krampf, und aus seinem Mund kam nichts als ein röchelndes Gurgeln. Die Augen starrten weit aufgerissen ins Leere. Dann brach er tot zusammen. Der Körper fiel mit hellem Knirschen in den blendend weißen Kies.
Prinz Ardashir kniete immer noch auf dem Boden, unfähig, sich zu rühren. Fassungslos blickte er auf seinen leblos vor ihm liegenden Vater. Und er wusste nicht, was er tun sollte.
35
Augusta Raurica
Grenzstadt zum Frankenreich
Die fränkischen Grenzwachen hatten Andreas und Franklin passieren lassen, ohne sie mit einer wirklichen Kontrolle zu behelligen. Ihr Verhalten stand in auffälligem Kontrast zu der peinlich genauen Überprüfung, die Andreas bei seiner Einreise über sich hatte ergehen lassen müssen; das brachte ihn zu dem Schluss, dass die Franken weitaus mehr daran interessiert waren, wer ihr Land betrat, als daran, wer es verließ.
Und die Überraschungen nahmen kein Ende. Die nächste war, dass der römische Grenzposten unbesetzt war, nicht ein Soldat wartete am Wachhaus neben der Straße auf Reisende.
»Seltsam«, meinte Andreas, »was kann das bloß bedeuten?«
Franklin blickte sich misstrauisch um. Er wies Andreas auf Details hin, die seinen Argwohn weckten: Die weit offen stehende Tür des Hauses, ein zerbrochenes Fenster, einige Blatt Papier, die verweht in den Zweigen eines nahen Busches hingen. »Was immer hier vorgefallen ist, war nicht lustig«, meinte er.
Sie ritten weiter, und vor ihnen tauchten das Kastell am Rheinufer und die bröckelnde Stadtmauer Augusta Rauricas auf. Andreas musste sich eingestehen, dass der Ort und seine Umgebung bei strahlendem Sommerwetter weitaus weniger bedrückend wirkte, als er ihn in Erinnerung hatte. Doch auch hier schien etwas nicht zu stimmen. Die Signalflügel des Innuetors über der Festung hingen bewegungslos herunter, und beim Näherkommen wurde erkennbar, dass das Haupttor des Kastells geschlossen war. Andreas spürte, dass die Dinge hier ganz offensichtlich nicht so waren, wie sie sein sollten. Etwas Bedrohliches lag über der Szenerie,
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