Die Zeitmaschine Karls des Großen (German Edition)
undurchschaubarer Hinterhältigkeiten.
36
Ctesiphon
Hauptstadt des Perserreiches
Der Nachthimmel über der persischen Hauptstadt wurde erhellt vom Widerschein unzähliger Brände. Die römischen Soldaten hatten ausdrücklichen Befehl gehabt, die Stadt und ihre Bewohner zu schonen; doch waren solche Befehle in der Geschichte schon oft gegeben worden, stets mit ähnlichem Ergebnis. Als Sieger im Land des geschlagenen Feindes führten sich die Römer nicht besser auf, als es Soldaten zu allen Zeiten an allen Orten der Welt getan hatten. Es wurde vergewaltigt, gemordet, geplündert. Hinzu kam der tief sitzende Hass auf die Perser, genährt durch Jahrhunderte des Krieges. Nach den Mühen des Gewaltmarsches durch die glühende Wüste war ihnen der Anblick des prächtigen Ctesiphon geradezu wie eine Provokation erschienen. Erst dieses Erlebnis hatte bei vielen aus den düsteren Tiefen der Seele den unbezähmbaren Wunsch emporquellen lassen, Rache zu nehmen für die Verwüstungen und die zahllosen Opfer, die sassanidische Heere zurückgelassen hatten, wenn sie wieder und wieder tief in das Innere des Römerreiches vorgedrungen waren. Dass die Vergeltung nun Unschuldige traf, kümmerte kaum jemanden. Trupps von Prätorianern zogen durch die Straßen und versuchten, dem Treiben Einhalt zu gebieten und die Disziplin wiederherzustellen, indem sie unnachsichtig jeden Soldaten, den sie bei Gewalttaten antrafen, mit dem sofortigen Tode bestraften. Nur langsam, sehr langsam gelang es ihnen, wieder Ordnung zu schaffen. Doch ohnehin begann bei vielen Römern der Rausch zu verfliegen, in den sie nach der fast kampflosen Erstürmung der Stadt gefallen waren. Manche begannen bereits den Abscheu vor sich selbst zu spüren, der am nächsten Morgen viele von ihnen erfasst haben würde. Dann würde sich mancher fragen, wie er fähig war zu tun, was er getan hatte. Doch noch hielt der Albtraum der Nacht Ctesiphon in seinen Klauen.
Rufus Scorpio stand auf dem Dach des Palastes. Er hatte seine Hände so fest um das hölzerne Geländer gekrampft, dass sich die Knöchel weiß färbten. Hilflos musste der Kaiser des Westens die überall lodernden Feuer sehen, die Schreie hören, die aus den Straßen zu ihm heraufdrangen. Und er ahnte, dass er, ganz gleich, wie viele Lebensjahre ihm noch beschieden sein mochten, an diesen Tag nie anders als mit Scham würde zurückdenken können. Scham, weil die Männer seines Heeres alle die widerwärtigen Dinge taten, von den er stets geglaubt hatte, dass sie nur von den Bösen, den Feinden verübt würden, die man eben deswegen zu Recht bekämpfte.
Er hatte sich einen großen Sieg immer anders vorgestellt, würdevoll und majestätisch. Doch was hier geschah, hatte er weder geahnt noch gewollt. Nun wusste er, was sich hinter den Worten der Historiker verbarg, wenn sie in ihren Büchern die Triumphe Roms schilderten. Die Waffentaten der Imperatoren, die siegreichen Feldzüge und der Kriegsruhm, deren Beschreibungen er mit solcher Begeisterung gelesen hatte, die er sich so bedeutend und erhaben ausgemalt hatte, erschienen ihm nun in einem gänzlich anderen Licht. Es waren nichts als schön bemalte Masken, hinter denen sich das wahre Antlitz des Krieges verbarg; eine grässliche, medusenartige Fratze. Ganz gleich, wer Sieger und wer Besiegter war, es schien stets darauf hinauszulaufen, dass blühende Städte in Schutt und Asche sanken, dass Menschen, die bis dahin friedlich gelebt hatten, bestialischer Gewalt zum Opfer fielen, nur weil sie das Unglück hatten, zu den Unterlegenen zu gehören. Er wusste, dass er in Zukunft immer die Galle auf der Zunge schmecken würde, wenn man in seiner Gegenwart vom Ruhm sprach. Denn er hatte jetzt gelernt, dass Ruhm nichts als eine Illusion war. Schlimmer noch, eine Lüge, eine zynische und bösartige Lüge, die das Leid und die Zerstörung völlig ignorierte. Und er sah das unglaubliche Paradoxon, dass etwas so Wertloses wie Ruhm nur um den Preis der kostbarsten aller Güter erlangt werden konnte: Leben und Glück.
»Ah, hier seid Ihr, mein kaiserlicher Bruder!«
Rufus drehte sich um. Kaiser Konstantin hatte die Dachterrasse betreten und schien bester Laune zu sein. Er trat neben den Weströmer und sagte zufrieden: »Ein faszinierender Anblick, nicht wahr? Fast ist man geneigt, zu verstehen, was Nero bewegt haben muss, das brennende Rom zu besingen. Das Zucken der Flammen, das sind die Todeskrämpfe des Perserreiches. Nun ist Rom für alle
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